a.

In Weimar wurde natürlich wieder Halt gemacht. Ich konnte mir's nicht versagen, Goethe nach dem Tode seines Sohnes zu sehen. Er hatte unterdessen eine Todeskrankheit durchgemacht und, von dieser erstanden, an eine Freundin, die mir dies mittheilte, geschrieben: »Nach großem Verlust und drohender Lebensgefahr hab' ich mich wieder auf die Füße gestellt.« In diesem Briefe sprach er sich ferner darüber aus, wie die Natur des Menschen nach jeder großen Erschütterung im Innern auf irgend eine Weise das Gleichgewicht wieder herzustellen suche; seine glücklich überstandene Krankheit sei die Folge davon gewesen, jetzt wolle er also alles thun, um nach gewohnter Art auf dem Wege des Wissens und der Kunst fortzuschreiten; dabei habe er auch die schwere Rolle des deutschen Hausvaters wieder aufzunehmen, wenngleich, wie er dankbar erkenne, unter den günstigsten äußeren Umständen.

Alle diese bedeutenden, männlich festen Äußerungen paßten mir durchaus nicht zu den Warnungsstimmen, die mir in Weimar zuflüsterten, ich möchte, wenn ich zu ihm käme, nur umgotteswillen nicht von August reden: das sei streng verpönt; er wolle den Tod und die Todten nicht erwähnen hören. Eine so feige Nachgiebigkeit [91] wäre mir unmöglich gewesen, und, um es kurz zu machen, fing ich gleich nach meinem Eintritt gerade mit dem verbotenen Gespräche an. Er aber ging nicht darauf ein. Er versuchte von andern Dingen zu reden, und auch das gelang nicht. Ich empfand, daß ich jetzt, neben dem Vater sitzend, nur des Sohnes gedenken könne, und er zeigte deutlich genug, daß meine Gedanken ihm klar wären. Es kam keine Conversation zustande; nach zehn Minuten empfahl ich mich, und er entließ mich: »Auf Wiedersehn!« Aber ich sah ihn nicht wieder. Wir wurden zur Tafel geladen, stellten uns ein und – Goethe speisete auf seinem Zimmer. Er wollte den Menschen vermeiden, der es nicht über sich gewinnen konnte, ihn zu schonen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1831. 1831, Mai (?) und früher.: Mit Karl von Holtei. a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A436-F