1779, 27. September.


Mit Johanna Schlosser geb. Fahlmer

Goethe sagte mir gleich eine halbe Stunde nach seiner Ankunft von Deinem [F. Jacobis] Briefe an ihn, den er in Frankfurt erhalten hätte, und was Du ihm darinnen vorwirfst, nämlich Dinge, die durch den Weg der schändlichen Klatscherei Dir endlich zu Ohren gekommen sind. Er erzählte offenherzig den ganzen Verlauf: daß er manche muthwillige Parodie – nicht geschrieben, aber mündlich über Deinen »Woldemar« geschwatzt habe. Sagte: so schöne Dinge, so viel großer, herrlicher Sinn auch darin sei, so könne er nun einmal für sich das, was man den Geruch dieses Buchs nennen möchte, (anders wisse er sich nicht auszudrücken) nicht leiden. Auch habe er – wie lieb Du ihm seist und wie ungerne er Dir etwas zu Leide sagen oder thun möchte, dem Kitzel nicht entgehen können, das Buch, zumal den Schluß desselben, sowie es ihm einmal aufgefallen sei, zu parodieren, nämlich, daß Woldemarn der Teufel hole. Man dürfe nur ein paar Zeilen ändern, so sei es unausbleiblich und nicht anders, als der Teufel [54] müsse ihn da holen. Er sprach mit ganz arglosem Wesen davon und suchte mich zu bedeuten, was dergleichen launichtes Getreibe in ihm für eine abgesonderte Sache sei etc. Er schwur darauf, daß er wünschte, Du wärest mit zugegen gewesen; Du selber hättest mit eingeschlagen, muthwillig im Abstracten die Sache einmal zu nehmen. Nur möchte er sich nicht gerne schriftlich in dergleichen Explicationen einlassen, besonders nach dem, worauf Dein Brief gestellt wäre. Doch schriebe er Dir vielleicht, vielleicht noch bei mir. Ich bestand darauf, es sei Pflicht, er müsse; – das geschah nun freilich nicht. Indessen schien ihm Dein Verdruß über die Sache aufrichtig leid zu sein. Wie peinlich diese Neuigkeiten für mich waren, kannst Du denken. Goethe kann gut und brav, auch groß sein, nur in Liebe ist er nicht rein und dazu wirklich nicht groß genug. Er hat zu viele Mischungen in sich, die wirren, und da kann er die Seite, wo eigentlich Liebe ruht, nicht blank und eben lassen. Goethe ist nicht glücklich und kann schwerlich glücklich werden.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1779. 1779, 27. September. Mit Johanna Schlosser geb. Fahlmer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A3B5-8