1788, 21. April.


Mit Freiherrn Gyldenstubbe

Ein sehr angenehmes Haus, in welchem ich [v. Unger] in Rom im Winter 1847/48 durch eine Empfehlung von Ottilie v. Goethe Zutritt fand, war das des Dänen Thygcson. Einmal wöchentlich war dort jour fixe. Eines Abends erschien dort ein sehr alter aber auffallend schöner Mann mit einer gleichfalls sehr schönen Dame von etwa 30 Jahren. Es war der schwedische Consistorialrath Baron Gyldenstubbe, und seine Enkelin, Frau v. H. Der alte Herr, welcher sehr gut deutsch sprach, war über meine Höflichkeit sehr erfreut und ebenso sehr über den jugendlichen Enthusiasmus, mit dem ich von Rom sprach. ›Ich war in Ihrem Alter‹, sagte er, ›als ich zum ersten Male in Rom war, es ist mir, als wenn ich mich selbst sprechen hörte. Ich habe damals, es ist über 60 Jahre her, Rom mit der festen Absicht verlassen, es wieder zu sehn; Sie sehen, ich habe sie ausgeführt.‹ »Das ist in Ihrem Alter ein wahres Heldenstück,« sprach einer der Zuhörer; »denn [16] Sie sind doch gewiß 80 Jahre alt, Herr Baron.« ›Wo denken Sie hin!‹ erwiderte er, ›ich bin 93 Jahre alt.‹ »Und da unternehmen Sie noch eine solche Reise, blos um Rom wiederzusehen?« ›Nicht darum allein; ich hatte noch einen andern Grund: ich bin hierher gekommen um hier zu sterben.‹ »Und weßhalb wollten Sie das nicht in Ihrem Vaterlande?« ›Ach, das sollen Sie wissen. Bei meinem ersten Aufenthalt in Rom lernte ich Goethe kennen, und wir schlossen uns sehr eng an einander an; denn wir harmonirten wunderbar mit einander. Eines Abends stiegen wir zusammen vom Monte Testaccio herab, und lagerten uns neben die Pyramide des Cestius auf dem Kirchhofe, wo schon damals die Protestanten begraben wurden. Goethe's Abreise stand bevor; er war in höchstem Grade ergriffen, und konnte den Gedanken noch gar nicht fassen, sich von Rom trennen und nach Deutschland zurückkehren zu müssen. O, rief er, hier todt zu liegen, das wäre ja schön, unendlich schöner, als in Deutschland zu leben. Höre Wolfgang, sprach ich zu ihm, Du hast noch eine große Aufgabe zu erfüllen, darum mußt Du leben, aber was hindert Dich, hier neben der Pyramide des Cestius Deine letzte Ruhestätte zu suchen? Du hast Recht, rief er aufspringend, das will ich, aber Du mußt es auch thun! dann vereinigt auch uns beide der Tod wieder. – Schwöre mir, daß wir beide im Tode hier wieder zusammen treffen werden. Ich schwöre es Dir, sprach ich; dann schlossen wir einander lange und fest [17] in die Arme. Am folgenden Tag reiste er ab – und ich habe ihn nicht wieder gesehen.‹

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1788. 1788, 21. April. Mit Freiherrn Gyldenstubbe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A333-E