[308] c.

Einige Tage nach meinem letzten Briefe aus Weimar wollte ich, wie ich Euch geschrieben hatte, hierher abreisen und sagte das auch bei Tisch an Goethe, der dazu ganz still war. Nach Tische aber zog er aus der Gesellschaft Ottilie in ein Fenster und sagte ihr: »Du machst, daß er hier bleibt!« Die versuchte denn nun mich zu bereden, ging mit mir in dem Garten auf und ab, ich aber wollte ein fester Mann sein und blieb bei meinem Entschlusse. Da kam der alte Herr selbst und sagte: das wäre ja nichts mit dem Eilen; er hätte mir noch viel zu erzählen, ich ihm noch viel vorzuspielen, und was ich ihm da vom Zweck meiner Reise sagte, das sei gar nichts. Weimar sei eigentlich jetzt das Ziel meiner Reise gewesen, und was ich hier entbehrte, das ich an meinen tables d'hôte finden würde, könne er nicht einsehen; ich solle noch viel Gasthäuser zu sehen bekommen. – So ging's weiter, und da mich das rührte, und Ottilie und Ulrike auch noch halsen und mir begreiflich machten, wie der alte Herr niemals die Leute zum Bleiben, und nur desto öfter zum Gehen nöthigte, und wie keinem die Zahl der frohen Tage so bestimmt vorgeschrieben sei, daß er einpaar sicher frohe wegwerfen dürfte, und wie sie mich dann bis Jena begleiten würden, so wollte ich wieder nicht ein fester Mann sein und blieb. Selten in meinem Leben habe ich einen Entschluß so wenig bereut, wie diesen; denn [309] der folgende Tag war der allerschönste, den ich je dort im Hause erlebt habe. Nach einer Spazierfahrt des Morgens fand ich den alten Goethe sehr heiter; er kam in's Erzählen hinein, gerieth von der »Stummen von Portici« auf Walter Scott, von dem auf die hübschen Mädchen in Weimar, von den Mädchen auf die Studenten, auf »die Räuber« und so auf Schiller, und nun sprach er wohl über eine Stunde ununterbrochen heiter fort: über Schiller's Leben, über seine Schriften und seine Stellung in Weimar. So gerieth er auf den seligen Großherzog zu sprechen und auf das Jahr 1775, das er einen geistigen Frühling in Deutschland nannte, und von dem er meinte: es würde es kein Mensch so schön beschreiben können, wie er; dazu sei auch der 2. [5.?] Band seines Lebens bestimmt, aber man käme ja nicht dazu vor Botanik und Wetterkunde und all dem anderen dummen Zeug, das einem kein Mensch danken will; erzählte dann Geschichten aus der Zeit seiner Theaterdirection; und als ich ihm danken wollte, meinte er: »Ist ja nur zufällig; das kommt alles so beiläufig zum Vorschein, hervorgerufen durch Ihre liebe Gegenwart.« Die Worte klangen mir wundersüß. Kurz, es war eins von den Gesprächen, die man in seinem Leben nicht vergessen kann.

Den andern Tag schenkte er mir einen Bogen seines Manuscripts von ›Faust‹ und hatte darunter geschrieben:

[310] [Dem lieben jungen Freunde Felix Mendelsohn-Bartholdy, kräftig zartem Beherrscher des Piano's, zur freundlichen Erinnerung froher Maitage 1830.]

J. W. von. Goethe.


und gab mir dann noch drei Empfehlungen hierher [nach München] mit.

...Nur noch den Abschied vom alten Herrn! Ganz im Anfang meines Aufenthalts in Weimar hatte ich von einer betenden Bauernfamilie von Adrian von Ostade gesprochen, die vor neun Jahren großen Eindruck auf mich gemacht habe. Als ich nun Morgens hineinkomme, um mich ihm zu empfehlen, sitzt er vor einer großen Mappe und meint: »Ja, ja! da geht man nun fort! Wollen sehen, daß wir uns aufrecht erhalten bis zur Rückkunft, aber ohne Frömmigkeit wollen wir hier nicht auseinandergehn, und da müssen wir uns denn das Gebet noch einigemale zusammen ansehen.« Dann sagte er mir, ich solle ihm zuweilen schreiben,... und dann küßte er mich, und da fuhren wir weg.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1830. 1830, 21. Mai bis Anfang Juni.: Mit Felix Mendelsohn-Bartholdy u.a.. c.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A1D5-0