1818, 7. Juli.


Mit Wilhelm Gerhard

Es traf sich nun glücklicherweise, daß Goethe der fürstlichen Taufe wegen sich eben hier [in Weimar] befand, und da ich durch Bertuch erfuhr, es sei eben die Stunde (11 Uhr), wo er Freunde zu sprechen pflege, so wollte ich nicht versäumen, ihm meine Aufwartung zu machen. [312] Ich wurde sogleich vorgelassen und mit herablassender Freundlichkeit empfangen. Viele, die Goethe persönlich gesprochen haben, finden sich durch eine gewisse feierliche Würde und einen Anstrich von Hofetiquette verletzt, den sie Stolz nennen, der aber diesen ausgezeichneten Mann sehr gut kleidet, weil das Wahrhaftmenschliche auch durch diese Abgemessenheit leuchtet. Ich wenigstens habe nicht das Geringste in seinem Wesen gefunden, was nicht weit mehr zu ihm hingezogen, als von ihm abgestoßen hätte. Ich mußte ihm viel von der Absicht meiner Reise nach England, von dem Gange des britischen Handels, ihren Manufacturen, der Natur englischer und deutscher Wolle, dem Rückzoll auf Druckwaaren Erklärendes sagen, und alles schien ihm in naturhistorischer Hinsicht interessant. Er wünschte sogar bei meiner Rückkehr Muster meines Einkaufs zu sehen. Wir kamen dann auf die Dichtkunst zu sprechen. Er sagte mir viel Schmeichelhaftes über meine Maskenzüge und gestand die Schwierigkeiten ein, die es mir in Leipzig machen müsse, solche Feste zu arrangiren, da es dort nicht wie in Weimar den Adel und einen Fürsten gibt, dem zu Ehren sich jener beeifere, allegorische Darstellungen zu arrangiren. Ich kam auf orientalische Literatur und Joseph v. Hammer zu sprechen; er gestand mir ein, daß er den »Divan« des Hafis bearbeite und schien es gern zu hören, daß die persische Dichtkunst durch ihre Bilder von Edelsteinen und Blumen mir lieb und ich der Meinung sei, [313] ein neuer Stern aus dem Morgenlande würde künftigen Geschlechtern durch die noch lange nicht genug zu Tage geförderten Schätze indischer und persischer Poesie glänzend aufgehen. Wegen einer beabsichtigten Bearbeitung der »Sakontala« für die Bühne war er ganz meiner Ansicht, den indischen Himmel des siebenten Actes zu streichen und einen andern Schluß dafür zu machen; und weil ich den Einwurf, man könne mich deshalb verketzern, äußerte, tröstete er mich mit der Bemerkung: ein Dichter habe völlige Freiheit, das umzumodeln, was nicht für seine Zeit passe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1818. 1818, 7. Juli. Mit Wilhelm Gerhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A161-5