1821, Sommer (?).
Mit Friedrich Förster u.a.
Durch ein so unerwartetes Geschenk [des Gedichts »An Herrn Hofrath Förster in Berlin«] fühlten meine Frau und ich uns veranlaßt, unsern Dank im nächstfolgenden Jahre persönlich auszusprechen. Zelter hatte wieder für Gruß und Empfehlung bestens gesorgt und eine Rolle noch ungedruckter Compositionen Goethe'scher Lieder meiner Frau mitgegeben, um sie dem Dichter vorzusingen, was auch an verschiedenen Abenden zu seiner großen Zufriedenheit bei ihm und bei seiner Schwiegertochter... ausgeführt wurde.
Am liebenswürdigsten und heitergeselligsten war Goethe am Mittagstische, wo jedoch die Eingeladenen nie [367] die Zahl der Musen überschritten. Vor ihm stand eine Flasche alten Rheinweins, welche er ganz allein zu leeren pflegte; wir andern hatten uns aus den vor uns aufgestellten Flaschen nach Belieben zu versorgen. Auf den Küchenzettel, den er für gewöhnlich selbst angab, hatte die Anwesenheit von Gästen besonderen Einfluß; es gab außer der Suppe gewöhnlich drei, höchstens vier Schüsseln: Fleisch mit Gemüse, (er aß sehr gern ein nach italienischer Kochkunst bereitetes stuffato) dann gab es Fisch (Forellen liebte er zumeist), Braten (zumeist Geflügel oder Wild) und, wie er erklärte, wegen der Damen eine Mehlspeise (Karlsbader Strudel) .... Er selbst zog der süßen Speise ein Stück englischen oder schweizer Käse vor. Das Zerlegen des Bratens, selbst wenn es ein schwieriger Wildziemer war, besorgte er eigenhändig, legte auch wohl einer begünstigten Tischgenossin ein ausgesuchtes Stück oder die zierlichste der Forellen vor. Vorherrschend war an dem Mittagstische bei dem alten Herrn... der ausgezeichnet gute Humor und die scherzhaften Neckereien mit seiner Schwiegertochter, doch nahm die Unterhaltung zuweilen auch eine ernste Richtung. Von dem einen wie von dem andern sind Erinnerungen in den Tafeln meines Gedächtnisses aufgezeichnet.
Als einmal gegen das Ende der Mahlzeit der Wunsch ausgesprochen wurde, eine Spazierfahrt zu machen, brachten die einen Belvedere, die andern Tiefurt, noch andere Ettersburg und andere schön gelegene [368] Orte in Vorschlag. Den, nach so verschiedenen Himmelsrichtungen hinstrebenden Geistern rief Goethe mit erhobener Stimme in gebieterischer Haltung zu:
und meinte, solches Gebot könne hier wohl Anwendung und Beachtung finden. Ottilie erklärte sich damit einverstanden und fügte hinzu: es sei ihr sehr lieb, doch endlich einmal über jenes geheimnißvolle Gedicht, über welches sie sich vergeblich den Kopf zerbrochen, von dem Dichter Aufschluß erhalten zu haben. »Also Du 1 selbst, lieber Vater, bist der Allgebietende, welcher an die, ihm dienenden Geister diesen Zuruf ergehen läßt, und so werden wir denn heute auch erfahren, weshalb jenes Gedicht die Überschrift ›Weltseele‹ führt.« – »Das nehme ich an,« erwiederte Goethe, »daß ich den Ausruf ergehen lasse, und somit seid Ihr es, an die ich mich wende, und mögt Ihr Euch nun als Cherubim, Aeone oder weltschöpferische Urgeister bezeugen und nach vollbrachtem Werte, worauf wir doch wohl mehr als sechs Tage zubringen dürften, vom All in's All zurückzukehren; dann werdet Ihr wohl inne geworden sein, was unter der Weltseele gemeint ist.« Uns allen eine gesegnete Mahlzeit wünschend, zog sich Goethe mit einer verbindlichen Handbewegung und dem entschuldigenden Worte: »Am siebenten Tage ruhte er« – in sein [369] Zimmer zum Mittagsschläfchen zurück. – »Da sind wir nun« – bemerkte Frau v. Goethe, nachdem der Papa sich entfernt hatte – »so klug wie vorher! Schon einigemal habe ich es versucht, ihn zu veranlassen, über jenes wundersame Gedicht und dessen Überschrift uns Aufklärung zu geben, allein ich erhielt immer ausweichende Antworten.«
1 Ottilie duzte den Schwiegervater nicht.