c.

In der Gesellschaft im Hause der Frau Hofräthin Schopenhauer hatten wir [Reinbeck] das Vergnügen, Bertuch, Riemer, Falk, Fernow und einige Damen zu finden. Zum erstenmale erschien die Frau Geheimräthin v. Goethe darin, eine Frau von noch vielem materiellen Reiz, an welcher man Gutmüthigkeit und [151] einen stets gleich heitern Sinn rühmte, wie dies mit Temperamenten der Art gewöhnlich verbunden ist. Später kam der Geheimrath. Er trat mit einem freundlich gezogenen Hm! Hm! nach allen Seiten grüßend ein und sah sich gleich nach einem Stuhle um. Jetzt beschaute er sich den Kreis und als sein Auge auf mich fiel, stand er auf und kam auf mich zu. Natürlich erhob ich mich sogleich. Er bückte sich feierlich und sagte: er habe mir seinen Dank abzustatten. Ich fragte, wodurch ich so glücklich gewesen sei, mir diesen zu erwerben. »Ich hatte immer den Vorsatz, Rußland einmal zu besuchen,« antwortete er, »Sie haben mich aber vollkommen davon geheilt.« »Das würde ich sehr bedauern,« erwiderte ich, »zunächst für Rußland ... dann aber auch, erlauben Ihre Excellenz, daß ich es sage, um Ihrer selbst willen« ... Es war von seiner Seite eine scherzhafte Wendung, mir anzudeuten, daß er meine damals erschienenen »Flüchtige Bemerkungen auf einer Reise über Moskau« etc. gelesen habe, die einiges Aufsehen machten durch die von den gewohnten Lobpreisungen eines Storch hier und da abweichenden Ansichten und Schilderungen nach einem 14jährigen Aufenthalt in Petersburg ... Goethe war in der besten Laune von der Welt. Er sprach viel über Rußland, fragte nach mehreren Bekannten daselbst ... Die Conversation wurde allgemein und war ungenirt, und ich dankte meinem lieben Fernow für diese reiche Quelle des Genusses, die er mir in Weimar eröffnet hatte und [152] die ich von diesem Abend an nie unbenutzt ließ. Ich machte hier die interessantesten Bekanntschaften. Goethe fehlte selten dabei ... Da fand sich immer etwas Neues zu berichten oder vorzuzeigen, wozu dann auch Goethe und Meyer hilfreich waren ... Oft wurde auch vorgelesen, besonders Calderon in der Übersetzung von Schlegel. Die Rollen wurden vertheilt und an den Chören mußten auch die Frauen theilnehmen. Goethe wies sie an, wie sie sprechen sollten, wobei es denn oft belustigenden Widerspruch gab. Im Tragischen gefiel mir Goethes Vortrag nicht, ich fand zuweilen falsches Pathos darin, aber im Komischen war er ganz unvergleichlich. Oft betraf auch die Unterredung die Sprache, und ich erinnere mich noch des Aufwandes von Scharfsinn, für aufgegebene Fremdwörter echt deutsche zu suchen. So schuf Goethe für Balanciren: in der Schwebe, und ich glaube, der Ausdruck, der in den meisten Fällen so treffend ist, trat an diesem Abend zuerst hervor. Der unlängst erlebten Katastrophe wurde fast gar nicht gedacht, und ich erinnere mich nicht, daß Goethe jemals über Politik gesprochen hätte.

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Wir besuchten zum letztenmale die Gesellschaft im Schopenhauer'schen Hause und fanden sie zahlreicher als gewöhnlich. Goethe unterhielt sich viel mit mir von meinen Plänen, die damals noch ins Weite gingen und nach dem schönen Italien strebten und man kann[153] sich leicht vorstellen, wie unterhaltend und belehrend seine Äußerungen waren. Gelesen wurde diesen Abend nicht, und wenn dies der Fall war, so pflegten Goethe und Meyer, nachdem etwa eingetroffene neue Kunstblätter beschaut und beurtheilt waren, auf kleinen Papierblättern mit Bleistift zu zeichnen, Goethe gemeiniglich Landschaften, die er dann wohl in Sepia ausführte. Das geschah auch diesmal. Ich saß am Zeichentische Goethe gegenüber. Er hatte ein Blatt vollendet, sah zu mir herüber und schnellte das Blättchen mir zu und ich – ich muß mich schon auslachen lassen – statt es sogleich einzustecken als ein höchst willkommenes Andenken, war zu schüchtern dazu. Ich besah es und legte es dann wieder zu Goethe hinüber auf den Tisch. Als er aufgestanden war, wollte ich das Versäumte nachholen, allein das Blättchen war nicht zu finden. Wahrscheinlich war ein Anderer gescheidter gewesen und hatte es an sich genommen. In Hinsicht der Kunst waren diese Zeichnungen nicht eben bedeutend. Auch zeigte sich in Goethe kein besonderer musikalischer Sinn, aber seine Lieder in Reichardt'schen oder Zelter'schen Compositionen zu hören, machte ihm auch bei mittelmäßigem Vortrag Vergnügen.


Note:

1 Die Schilderungen unter b können leider nur in den von Düntzer in brockenhafter, verwirrender Darstellung veröffentlichten, z. Th. unbestimmbaren Bruchstücken von Briefen der Schopenhauer an ihren Sohn wiedergegeben werden.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1806. 1806, Winter auf 1807 und Späteres.: In Gesellschaft bei Johanna Schopenhauer. c.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A0BC-3