1832, 14. März.


Mit Friedrich und Karl Werner

Ich kann den heutigen Tag nicht würdiger beschließen, als Ihnen, [Kammerrath Frege] Nachricht von einem für mich und meinen Sohn wichtigen Ereigniß zu geben. [200] Wir erhielten heute morgen die Anzeige, daß Goethe uns um 12 Uhr heute empfangen wolle. Mit welchen Empfindungen ich das Haus wieder betrat, wie freundlich mir das Salve an der Schwelle des Zimmers entgegenleuchtete, in welchem ich seit 25 Jahren (so lange ist es, daß ich das Weimarische Hoftheater verlassen) nicht wieder gewesen war, können Sie sich denken. Seine ehrwürdige Gestalt erschien, mit freundlicher Würde empfing er mich, und mit sichtlichem Wohlgefallen nahm er den Enkel seiner von ihm durch Gedicht und Denkmal verewigten Lieblingsschülerin Christiane Neumann, nachmalige Becker, auf. Nachdem er sich in Kenntniß gesetzt, daß Karl seine reinen architektonischen Studien in Leipzig unter des würdigen Schnorr v. Carolsfeld Leitung begonnen, hierauf sich seit vier Jahren in München der Architekturmalerei gewidmet hatte, betrachtete er das auf der Staffelei aufgestellte Ölgemälde, den Brückenthurm von Prag, für den Baron Rothschild in Wien bestimmt, mit Aufmerksamkeit. »Ach das ist heitre blaue Luft; Sie vermeiden das Düstere, Nächtliche der modernen Schule.« Er ließ sich sein Vergößerungsglas geben, um die architektonischen Verzierungen genau betrachten zu können. »Malen Sie mit der Brille?« Karl verneinte. »Da können Sie von Glück sagen. – Viele gut ausgeführte Staffage, gut gestellte Figuren in ihrer Landestracht! Das Ganze macht einen freundlichen Eindruck, ein Bild des heiteren Lebens. Recht gut! Recht gut!« Anbei ein zweites [201] Gemälde: Inneres einer zerfallenen Wallfahrtskirche in Tirol; herannahendes Gewitter, einige davonfliegende Vögel, ein Rabe auf dem dürren Zweige einer Tanne sitzend, im Vordergrund ein kleiner See, in welchem sich die noch hell beleuchtete Ruine und die nahen Hochgebirge spiegeln. »Gar keine Staffage! Gut, sehr gut! Bei einem Gegenstande dieser Art mag man sich gern ungestört der Betrachtung hingeben. Ist es treu, oder hat die Phantasie manches hinzugefügt?« »Ganz treu« – war die Antwort. »Um so interessanter.« Nun nahm er die Mappe mit Aquarellen und Studien vor und setzte sich. Das Innere einer Trinkhalle im Schlosse des Grafen Körning-Seefeld bei München sprach ihn sehr an; er rühmte die richtigen Verhältnisse der Zeichnung, die interessante Beleuchtung, und vernahm mit Vergnügen, daß der Besitzer besorgt sei, alles in gutem und brauchbarem Stande zu erhalten, auch rücksichtlich der alten Möbeln, die Hirschgeweihe an den Wänden pp. und ergötzte sich an dem behaglichen Aussehen des alten Castellans, der einzigen Figur im ganzen Bilde. »Man erwirbt sich ein Verdienst, diese Überreste der alten Zeit zu zeichnen und auf diese Weise zu erhalten, die man mit einem beispiellosen Leichtsinn von allen Seiten zugrunde gehen läßt.« Einen umgestürzten Baum in einer Studie verglich er mit einem hingestreckten Rittersmann. Im Höllenthal erschienen ihm die spitzen Felsblöcke wie große Elefantenzähne. Als er die Naturstudie zu der oben erwähnten Wallfahrtskirche sah, rief [202] er »Ach!« und stellte sich sogleich mit fast jugendlicher Schnelle vor die Staffelei. »So muß es sein! Sehen Sie: auf der Skizze ist der Sonnenschein hinter der Ruine auch auf der linken Seite fortgeführt und verbindet beide Teile innig miteinander. Wenn Sie dieses Licht auch auf dem Bilde so fortführen, was mit wenig Mühe geschehen kann, so verschwindet das gewissermaßen Trennende, und das Bild macht ein wohlverbundenes effectvolles Ganzes.« Bei und nach der Beschauung der übrigen architektonischen und landschaftlichen Studien äußerte er sich folgendermaßen: »Sie haben sich den Charakter und die Eigenthümlichkeiten der alten Architektur sehr zu eigen gemacht; die Art und Weise der Auffassung ist lobenswerth. Sie haben viel gearbeitet und fleißig gearbeitet, und was mich vorzüglich freut: Ihre Studien sind in einem so guten Zustande, so nett erhalten, wie es nicht immer der Fall ist.« Bei Erwähnung des Reiseplans nach Italien, klopfte er auf die Mappe und sagte: »Sie haben tüchtige Pässe bei sich.« Hierauf sagte er zu meinem Sohn: »Sie lassen mir Ihre Arbeiten einige Tage da, damit ich sie mit den Meinigen mit Muße betrachten kann.«

Unsere Abreise, die schon auf morgen bestimmt war, wurde daher auf Sonnabend verschoben. Als er uns entließ, sagte er: »Ich hoffe Sie noch einmal bei mir zu sehen.« Eine ganze Stunde waren wir bei ihm gewesen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1832. 1832, 14. März. Mit Friedrich und Karl Werner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A09F-5