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An August Wilhelm Schlegel

Erlauben Sie, daß ich heute meine eilige Depesche auf einen gebrochenen Bogen dictire, damit ich nachtragen kann, was mir später einfallen möchte.

Wir führen hier den Julius Cäsar, wie alle Stücke, die einen größern Apparat erfordern, nur mit symbolischer Andeutung der Nebensachen auf und unser Theater ist, wie ein Basrelief, oder ein gedrängtes historisches Gemählde, eigentlich nur von den Hauptfiguren ausgefüllt. Die Shakespearschen Stücke lassen sich besonders so behandeln, weil sie wahrscheinlich zuerst für beschränkte Theater geschrieben worden. Sie auf eine größere Bühne zu verpflanzen, wo die Wirklichkeit mehr gefordert wird, wenn das Wahrscheinliche geleistet werden soll, ist eine Aufgabe, welche Iffland von seinem Standpunkt aus am besten lösen wird.

Gern füge ich jedoch, nach Ihrem Wunsch, meine Gedanken über Ihre besonderen Fragen bey.

Den Unbequemlichkeiten, auf die man freylich stößt, aus dem Wege zu gehen thue ich folgende Vorschläge: Man lasse den dritten Act beysammen und fange ihn mit der Sitzung des Senates an, allein um die Bänke wegräumen und Cäsars Leiche, ohne daß sie vor den Augen des Publikums aufgehoben wird, wegbringen zu können, lasse man nach den Worten des Antonius [335] »Leih deinen Arm mir« einen kurzen Straßenprospect fallen und schiebe eine Scene ein, welche nicht schwer zu schreiben seyn wird. Man bringe einen Theil der vom Capitol fliehenden Senatoren, so wie des Volks, in der Agitation vor, die auf eine solche That folgen muß. Mittleid mit dem Todten, Furcht vor allgemeinem größerem Übel, persönliche Furcht u.s.w. nur lakonisch und zur Zeitausfüllung knapp hinreichend, so daß sie sich an die folgenden Ausrufungen der Bürger auf dem Forum »wir wollen Rechenschaft, legt Rechenschaft uns ab« gleichsam anschlösse.

Die Scene mit Cinna dem Poeten, die auf dem Forum recht gut gespielt werden kann, möchte ich nicht gern entbehren; sie schließt den höchst ernsten dritten Act lustig und schrecklich man sieht das Volk in seiner ausgesprochenen Vernunftlosigkeit und sieht es nie wieder.

Die Scene mit den Triumvirn würde ich, zwar ungern, doch lieber entbehren, als sie an den dritten Act anschließen, denn ich halte selbst dafür, daß ein anständiges ruhiges Zelt, das den ganzen Act über stehen bleibt, sehr gut thun werde. Die Art, wie wir uns, bey Verwandlung aus der ersten in die zweyte Scene, durch einen Baldachin geholfen, war, selbst für unsern knappen Hausrath, etwas zu knapp.

Ich weiß wohl, daß es gut und schön ist, daß Octavius sich selbst exponire und Lepidus so exponirt werde; aber die Wirkung dieses Auftritts könnte recht[336] gut durch eine kurze Exposition zwischen Brutus und Lucilius, am Anfange des vierten Actes Statt finden, wo man den Zuschauer, auf eine prägnante Weise, von dem Andringen einer mächtigen Gegenpartey und von den unzeitigen Händeln zwischen Brutus und Cassius unterrichten könnte.

Wenn Sie ein paar solcher Scenen schreiben möchten, so theilen Sie mir solche mit; oder jeden andern Gedanken den Sie haben, um die Erscheinung dieses so werthen Stückes bequemer und eindringlicher zu machen.

Dem Poeten, der pag. 116 vom Himmel fällt, aber nach meinem Gefühl unerläßlich ist, um dem Zuschauer eine Diversion zu machen, und das Vergangene auszulöschen, habe ich ein Dutzend gereimte Verse gemacht, wodurch er sich deutlicher exponirt und seine Wirkung lebhafter äußert.

Überhaupt bin ich mit dem Stücke noch immer in einer Art von Conflict, der sich vielleicht nie lösen kann. Bey der unendlich zarten Zweckmäßigkeiten dieses Stücks, in die man sich so gern versenkt, scheint kein Wort entbehrlich, so wie man nichts vermißt, was das Ganze fordert, und doch wünscht man, zur äußern theatralischen Zweckmäßigkeit, noch hie und da durch Nehmen und Geben nachzuhelfen. Doch liegt, wie bey Shakespeare überhaupt, Alles schon in der Grundanlage des Stoffs und der Behandlung, daß, wie man irgendwo zu rücken anfängt, gleich mehrere Fugen zu [337] knistern anfangen und das Ganze den Einsturz droht. Die Vorstellung auf dem Berliner Theater bringt uns hierüber gewiß zu größerer Klarheit und ich wünsche nichts so sehr, als ein so schätzbares Werk auf der Bühne erhalten zu helfen.

Leben Sie recht wohl und lassen mich bald von den Vorschritten dieses Unternehmens etwas erfahren.

Weimar, am 27. Oct. 1803.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1803. An August Wilhelm Schlegel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9EC9-0