16/4712.
An August Wilhelm Schlegel
Für so manches Gute und Angenehme habe ich Ihnen noch nicht gedankt, nicht für Jon, nicht für Calderon. Ein angefangner Brief liegt schon lange da und Muße zum Briefschreiben kommt nie wenn man sie erwartet. Nun regt eine äußere Veranlassung mich auf, Ihnen zu schreiben, eine alte Schuld abzutragen und neue Verhältnisse anzuknüpfen.
Das alte Band der jenaischen Litteraturzeitung löst sich auf, neue müssen geknüpft werden und ich [293] mag wohl, um des allgemeinen Besten willen, aus meiner Ruhe heraus treten und mit an einem neuen Institut Theil nehmen, wozu sich alles was wacker und tüchtig bey uns ist, zu versammeln verspricht.
Sage ich Ihnen daß man auch Ihre Theilnahme aus der Ferne wünscht; so vernehmen Sie nichts unerwartetes. Ihr Geist, der sich, in Production sowohl, als Urtheil, thätig zeigt, wird sich gewiß zu einer Anstalt neigen, die nicht sowohl Zerstreutes versammeln, als das was von Natur zusammen gehört, vereinigen möchte.
Haben Sie daher die Güte mir vorläufig zu schreiben: ob, und in wie fern Sie beyzutreten gedenken? ob Ihnen Bücher im Sinne schweben über welche Sie Ihr Urtheil sagen möchten und ob wir noch manches vor Weihnachten erwarten dürften?
Sobald ich Ihre Gesinnung näher weiß schreibe ich weitläufiger und freue mich zum Voraus darauf, daß dieser Anlaß unsere Correspondenz beleben wird, welche, selbst unter Gleichgesinnten, ohne besonderes Interesse, gewöhnlich ermattet.
Sie haben unter Ihren Freunden gewiß noch manchen jungen Mann, der, mit schönen Talenten und Kenntnissen, einen vorschreitenden Geist und mäßige Gesinnungen verbindet; wollten Sie mir wohl Nahmen und nähere Verhältnisse bekannt machen.
Der ich für dießmal schließe, recht wohl zu leben wünsche und mich bestens empfehle.
[294] Wenn Sie an Ihren Herrn Bruder nach Paris schreiben, so grüßen Sie ihn schönstens von mir. Auch ihm bin ich einen Brief schuldig und wohin bin ich nicht Briefe schuldig!
Weimar am 5. Sept. 1803.
Goethe.