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An Johann Daniel Salzmann

[Sesenheim, Ende Juni 1771]

Nun wär es wohl bald Zeit dass ich käme, ich will auch und will auch, aber was will das Wollen gegen die Gesichter um mich herum. Der Zustand meines Herzens ist sonderbaar, und meine Gesundheit schwanckt wie gewöhnlich durch die Welt, die so schön ist als ich sie lang nicht gesehen habe.

Die angenehmste Gegend, Leute die mich lieben, ein Zirckel von Freuden! Sind nicht die Träume deiner Kindheit alle erfüllt? frag ich mich manchmal, wenn sich mein Aug in diesem Horizont von Glückseeligkeiten herumweidet; Sind das nicht die Feengärten nach denen du dich sehntest? – Sie sinds, sie sinds! Ich fühl es lieber Freund, und fühle dass man um kein Haar glücklicher ist wenn man erlangt was man wünschte. Die Zugabe! die Zugabe! die uns das Schicksaal zu ieder Glückseeligkeit drein wiegt!

[259] Lieber Freund, es gehört viel Muth dazu, in der Welt nicht missmuthig zu werden. Als Knab pflanzte ich ein Kirschbäumgen im Spielen, es wuchs und ich hatte die Freude es blühen zu sehen, ein Maifrost verderbte die Freude mit der Blüthe und ich mußte ein Jahr warten, da wurden sie schön und reif; aber die Vögel hatten den größten Theil gefressen eh ich eine Kirsche versucht hatte; ein ander Jahr warens die Raupen, dann ein genäschiger Nachbar, dann das Meelthau; und doch wenn ich Meister über einen Garten werde, pflanz ich doch wieder Kirschbäumgen; trotz allen Unglücksfällen gibts noch so viel Obst, daß man satt wird. Ich weiß noch eine schöne Geschichte von einem Rosenheckchen, die meinem seligen Großvater passirt ist, und die wohl etwas erbaulicher als die Kirschbaumshistorie, die ich nicht anfangen mag, weil es schon spät ist.

Machen Sie sich auf ein abentheuerlich Ragout, Reflexionen, Empfindungen, die man unter dem allgemeinen Titel Grillen eigentlicher begreifen könnte, gefaßt.

Leben Sie wohl und wenn Sie mich bald wieder sehen wollen, so schicken Sie mir einen Wechsel mich auszulösen, denn ich habe mich hier festgesessen.

Im Ernste seyn Sie so gut und geben Sie der Ueberbringerin eine Louisdor mit, ich hatte mich auf so lange Zeit nicht gefaßt gemacht. Sie schreiben mir doch, da sind Sie so gut und stecken sie in den [260] Brief und binden es der Trägerin wohl ein. Adieu lieber Mann verzeihen Sie mir alles.

IhrGoethe. [261]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1771. An Johann Daniel Salzmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9AF2-1