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An Carl Wigand Maximilian Jacobi

[Concept.]

Ich muß Ihnen, mein lieber Jacobi, um so geschwinder antworten, je länger unsere Communication bisher unterbrochen blieb. Ihr Brief, ein Zeugniß Ihrer fortdauernden Liebe, hat mir große Freude gemacht.

So veränderlich auch mitunter die menschlichen Dinge sind, so bleiben doch manche Zustände lange Zeit immer dieselben. Ihr Brief traf mich bey Tische in der bekannten grünen Vorderstunde, Herr Prof. Meyer und die meinigen, die sich sämmtlich über Ihr Andenken freuten, waren gegenwärtig und ein kleines Gericht frischen eingemachten Waizens wurde aufgetragen, so daß Sie, wenn Sie selbst gekommen wären, alles auf dem alten Fuß gefunden hätten.

Ich wünsche daß Sie indessen dem neuen erwarteten Gast sein Willkomm schon mögen zugerufen haben und hoffe daß Sie mir gelegentlich schreiben wie er sich befinde. Grüßen Sie die Mutter und denken mein zu guten Stunden.

[150] Seyn Sie in Ihrem kleinen Kreise thätig und geduldig, bis er sich nach und nach erweitert. Es ist keine Frage daß der Arzt sich den größten zu wünschen hat. Blos bey einer Menge von Erfahrungen hat das Urtheil Gelegenheit sich zu bilden und wir werden dadurch allein genöthigt die Einseitigkeit zu verlassen, an der uns Theorie, Tradition und eigne Natur gern so lange fest halten.

Wenn Sie die drey ersten Stücke der Propyläen gesehen haben, so wissen Sie womit ich mich vorzüglich das letzte Jahr beschäftigte. Wenn man sich eine große Zeit seines Lebens mit gewissen Gegenständen abgegeben hat, so wünscht man sich und andern doch auch zuletzt Rechenschaft abzulegen, sich die Resultate klar zu machen und sie mitzutheilen.

Leider ist es nicht das dankbarste Geschäft; denn selten hält Jemand ein Resultat für richtig das er nicht selbst aus eignen Erfahrungen gezogen hat und selbst derjenige, der aufrichtig nach dem Ziele strebt, glaubt nicht gern dem der von dort her schon zurückkommt und allenfalls wohl etwas von seinen Abentheuern mittheilte.

Indessen muß man das seinige thun und denken daß alles was mit Ernst und Liebe vorgetragen wird nicht ohne Nutzen bleibt.

Ich freue mich wenn Sie aus diesem Werk etwas für sich nehmen können. Ich hoffe das 4te Stück soll Sie unterhalten. Es giebt auf eine heitere Weise [151] eine Übersicht über mehrere Fächer, in welche sich die Kunst gewöhnlich zu trennen pflegt.

Mit Gedichten ist es schon eine andere Sache. Diese müssen ihrer Natur nach weiter und allgemeiner wirken. Es freut mich daß Sie Euphrosynen auszeichnen. Ich bin sowohl wegen des Stoffs als wegen den Umständen, welche die Behandlung und Ausführung begleiteten, diesem kleinen Gedicht sehr mit Freundschaft zugethan. Ich erhielt in der Schweiz die Nachricht von dem Tode dieser geliebten Person. Überhaupt traf bey diesem Gedicht glücklicherweise zusammen daß das Poetische durchaus auf dem Wirklichen ruht, und dieses doch nichts für sich selbst gilt, sondern erst dadurch etwas wird daß es als Folie durch den poetischen Körper durchscheint.

Auch wird die Naturbetrachtung, auf dem Wege den Sie kennen, immer fortgetrieben. Ich habe mich seither besonders in die Metamorphose der Insecten hinein zu arbeiten gesucht. Man muß auch hier, wenn man sich in diesem Labyrinthe nicht verwirren will den einfachen stetigen Gang der organisirenden Natur, auf so viel Puncten als möglich, durch den Gedanken anhalten und das Untheilbare theilen. Die Beobachtung ist so schwer nicht, ob sie gleich viel Aufmerksamkeit erfordert; aber die Vorstellungsarten diese Naturwirkungen zu fassen liegen vielleicht außerhalb den Gränzen des gemeinen Menschenverstandes und die Philosophen sind von ihrer Seite noch nicht [152] genug heran gekommen, um uns andern, die wir keine Philosophen sind, doch solche Werkzeuge darzureichen mit denen wir bey unsern Untersuchungen weiter ausgreifen könnten.

Es bleibt daher wohl nichts weiter übrig als zu thun was unsere Vorfahren gethan haben nicht zu handeln und zu beobachten ohne zu denken, und nicht zu denken ohne zu handeln und zu beobachten; ja, uns so zu gewöhnen daß unsere ganze Natur, mit allen ihren Fähigkeiten zusammen und einzeln, so gut es nur gehen mag, wirken könne.

Natürlich fallen mir bey dieser Gelegenheit die neuen philosophischen Händel ein, von denen doch auch etwas zu Ihnen über den Rhein wird verlautet haben. Ihr Vater hat dabey die Satisfaktion daß seiner Bemühungen in allen Ehren gedacht wird. Ich freue mich daß er es erlebt. Denn gewöhnlich wenn die Einsicht eines vorzüglichen Mannes von der Vorstellungsart seiner Zeit zu sehr abweicht so ist die Ehre anerkannt zu werden nur den Manen aufbehalten.

Es sollte mich sehr freuen wenn ich Sie irgend einmal wieder sehen und sprechen könnte. Ich erinnere mich mit Vergnügen der Zeit da Sie in unserer Nähe waren und würde mich derselben mit noch mehr Zufriedenheit erinnern, wenn ich überzeugt wäre daß ich Ihnen mehr genützt hätte. Es gehört zu einem wechselseitigen Einfluß eine gewisse passende [153] Disposition, die sich oft gerade in dem Augenblick nicht findet da man zusammen lebt, und in Absicht auf geistige Bildung geht man selten mit einander, just wenn man sich körperlich neben einander befindet.

Für mich habe ich gegenwärtig den großen Vortheil daß ich an Schiller und Meyer zwey Freunde gefunden habe, mit denen mich ein ähnliches ja ich kann wohl sagen, ein gleiches Interesse verbindet. Jeder von uns mag gern in seinem Fache fortschreiten und bey der Verwandtschaft der Fächer ist der Fortschritt des einen auch Gewinn für den andern.

Ich wünsche, wenn Ihnen auch gegenwärtig ein solches Verhältniß abgehen sollte, dasselbe künftig. Vielleicht aber hat ein Arzt mehr Schwierigkeiten als wir andern um es zu etablieren, und wenn es doch recht nützlich und erfreulich seyn soll so muß es unter Kunstverwandten seyn weil verschiedne Beschäftigung gleich gar zu weit aus einander trennt. Leider trennt aber verwandte Beschäftigung die Menschen noch öfter, indem wahrer Nach und Mit Eifer so selten, Neid und Mißgunst desto gemeiner sind.

Geben Sie mir nun auch, wie Sie versprechen, einige Nachricht von ihren Studien sie mögen sich nun unmittelbar auf die Arzneykunst beziehen oder mit dem was eigentlich Ihr Beruf ist nur eine ferne Verwandtschaft haben. Lassen Sie mich alsdann und wenn es auch nur alle Jahre wäre, etwas von sich [154] wissen, oder wenn irgend eine bedeutende Veränderung mit Ihnen vorgehen sollte. Grüßen Sie Ihre liebe Schwester und sagen ihr auch etwas von mir.

Die Meinigen, welche sich wohl und vergnügt befinden grüßen schönstens und wünschen Ihnen mit mir alles Gute. Ich schließe mit einem nochmaligen Lebewohl.

Weimar am 16. Aug. 1799.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1799. An Carl Wigand Maximilian Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A86-8