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An Johann Friedrich Rochlitz

Ew. Wohlgeboren herzlicher, aus freier Brust geschriebener Brief, hat mir große Freude gemacht. Ich hatte freilich auf Sie gezählt, daß Sie aber so schnell, augenblicklich, unmittelbar sich äußern, dafür weiß ich Ihnen den größten Dank. Freund Meyer, dessen Um- und [108] Übersicht aus alter und neuen Zeit Sie in dem kühnen Aufsatze nicht verkennen werden, trägt mit mir diese Gesinnungen schon viele Jahre auf dem Herzen, und es schien gerade der rechte Augenblick, wo das Absurde sich selbst überbietet, wo alle echte Gleichzeitigen, besonders die Väter und Pfleger talentvoller, durch diesen Zeitwahnsinn verrückter Söhne, in Verzweiflung sind, mit historischem, billigem, das Talent würdigendem, die Abweichung scharf bezeichnendem Vortrag aufzutreten. Tausend und aber tausend Wohldenkende werden sich bestimmt schnell versammeln, der reine Menschen- und Kunstverstand wird laut werden, und wir kommen auch denen zu statten, die jetzt wider Willen dem Strom in den sie sich eingelassen haben gehorchen.

Von dem Überschwenglichen der Tollheit wie Sie es mir schildern, hatten wir freilich noch keinen Begriff, da wir aber, es entstehe daraus was wolle, immer auf diesen Fleck zu schlagen gedenken, so haben Sie die Gefälligkeit, mich von Zeit zu Zeit von dem Besondern zu unterrichten. Wir möchten, wie auch schon in dem ersten Aufsatz geschehen, das talentvolle Individuum schonen und fördern, wie Sie auch thun und gethan haben, aber auf die falschen, krankhaften und im tiefsten Grunde heuchlerischen Maximen derb und unerbittlich losgehen, und, wie Sie ganz richtig anrathen und verlangen, dasjenige immer und immer wiederholen, was wirken soll. Das nächste dritte [109] Heft wird nicht allein in diesem Fache, sondern auch in andern aufrichtig seyn.

Haben Sie die Güte mir alles anzuzeigen, was Sie von Persönlichkeiten und Individualitäten wissen, ich mache keinen Gebrauch davon, ehe ich ihnen die Redaction vorgelegt habe. Es ist eine Gewissenssache, mit der wir zusammen wirken müssen. Die Masse ist breit, aber schwach, und ich denke ihnen noch von ein paar andern Seiten in die Flanke zu fallen.

Hievon nur diese Andeutung! Wie erfreulich ist mir der reine, freie Ausdruck Ihres Briefes, auch nur als Sprachäußerung betrachtet, und zu welchen ekelhaften, befremdenden Narrheiten wollen uns die deutschen Männer zwingen! auch gegen die werden wir auftreten, und welche wackere junge Theilnehmende wir für unsere Überzeugung hoffen können, davon zeugt beyliegendes Heftchen.

Kennen Sie schon den Aufsatz, so ist es Ihnen wohl angenehm ihn zu besitzen und Freunden mitzutheilen. Man muß jetzt auch Partei machen, das Vernünftige zu erhalten, da die Unvernunft so kräftig zu Werke geht. Lassen Sie uns bedenken, daß wir dieß Jahr das Reformationsfest feiern, und daß wir unsern Luther nicht höher ehren können, als wenn wir dasjenige was wir für Recht, der Nation und dem Zeitalter ersprießlich halten, mit Ernst und Kraft, und wäre es auch mit einiger Gefahr verknüpft, öffentlich aussprechen, und wie Sie ganz richtig urgiren, öfters wiederholen.

[110] Das mir geneigt gespendete Bild gewährt mir immer viel Freude. Aus einem Kunstwerk, das wahrhaft gut ist, läßt sich viel heraussehen, und was es anregt ist immer unendlich.

Ich weiß nicht, ob ich schon gemeldet habe, daß meine Vorliebe für's sechzehnte Jahrhundert mich auch verleitet hat, eine ansehnliche Sammlung Majolika aus Nürnberg mir eigen zu machen, welche glücklich angekommen einen vergnüglichen Anblick geben, dabey aber auch aussagen, daß dergleichen subalterne Kunstwerke nur in Masse können beurtheilt werden, wo sowohl ihre Vorzüge als ihre Mängel zur Schau stehen. Finden Sie, um billige Preise, von dieser Art in Leipzig, so erzeigen Sie mir den Gefallen davon Notiz zu geben.

Die Abdrücke der Sammlung geschnittener Steine sende in diesen Tagen zurück. Zu jenem ersten Vorschlag bewog mich die Meynung es sey eine Sammlung Cameen, die zu Schmuck, Putz und Modezwecken für Kenner und Nichtkenner brauchbar sind. Mit Intaglios will man siegeln, und da möchte man interessante beliebte Personen, deren sich, besonders für die neue Denkweise, unter der Folge römischer Kaiser wohl wenige finden möchten.

Den Abdruck eines Titelblatts sende hiebey, vielleicht bald nach Johannis das Heft selbst. Meinen längern Aufenthalt in Jena benutze, da ich gerade nicht Luft zu frischem Thun empfinde, zum Wiederabdruck [111] älterer, auf Natur sich beziehenden Schriften zu, Sichtung und Redaction aufgehäufter Manuscripte. Bey dieser Gelegenheit erscheint, beinahe zum Entsetzen, wie wir von den disparatesten Gegenständen afficirt, aufgeregt, hingerissen werden können. Hierdurch nun werde ich genöthigt mancherley Stückwerke mit Lebensereignissen in Verbindung zu bringen, damit das Ganze nicht allzu verworren und seltsam aussehe. Und gerade diese Mittelglieder sind es die ich Ihrem Antheil empfehlen möchte. Lassen Sie zunächst unsere wechselseitige Unterhaltung auf das lebhafteste würken, es giebt Epochen, wo es räthlich ja unvermeidlich ist das Eisen gemeinschaftlich zu schmieden.

Mit vielem Antheil und Vergnügen höre ich, daß Sie Konnewitz wieder hergestellt, und sich und den Ihrigen einen angenehmen Aufenthalt bereitet haben. Ich mußte mehrmals meine Existenz aus ethischem Schutt und Trümmern wieder herstellen, ja tagtäglich begegnen uns Umstände, wo die Bildungskraft unserer Natur zu neuen Restaurations- und Reproductions-Geschäften aufgefordert wird, helfe der Geist nach, so lange es gehen will.

Hier also ein Abschluß weil doch einmal zu schließen ist. Baldigste Erwiederung hoffend

ergebenst

Jena den 1. Juny 1817.

Goethe. [112]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Johann Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-998F-D