42/195.
An Nikolaus Meyer
Ew. Wohlgeboren
neuerliche angenehme Sendung erwidere mit verflichtetem Dank und freundlichstem Anerkennen Ihres fortdauernden Erinnern und freundschaftlichen Zutrauens.
Daß Ihr lieber zweyter Sohn ein entschiedenes Talent zur bildenden Kunst besitze, geht aus allen mir mitgetheilten Blättern hervor und wird sich noch mehr beweisen, wenn er in eine Schule kommt, die ihm den Inhalt der Gestalten deutlich macht, wodurch denn sowohl das rechte Ebenmaaß als der Charakter, das physische und geistige Leben sich zuletzt hervorthut. Es ist ferner sehr wohlgedacht ihn noch auf andere Weise auszustatten, damit er auch in sonstigen Verhältnissen einer Welt, die alle Tage weiter und breiter wird, sich nicht fremd und ohne Mittel fühle. Wäre der Umweg, in dem Sie ihn nach Berlin bringen, über Weimar nicht zu groß, so sollten Sie sich gewiß hier manches angenehm, älteren und neueren Verhältnisses erfreuen. Es thut sich in der letzten Zeit [232] eine geistreich gebildete Gesellschaft von jungen Staatsdienern hervor, in der Sie sich gewiß in jedem Sinne behaglich finden würden.
Das letzte Heft von Kunst und Alterthum lege bey mit dem Ersuchen, was etwa an den fünf ersten Bänden fehlt, mir freundlichst anzuzeigen, damit Ihr Exemplar complettirt werde.
Meines Gartens am Stern im Thale erinnern Sie sich wohl; ich habe so eben die alten Zimmerchen bezogen; die bekannten Plätze würden Sie alle wieder finden, nur sind die von mir vor funfzig Jahren gepflanzten Bäume kräftig in die Höhe gegangen und geben breiten Schatten.
Empfehlen Sie mich den lieben Ihrigen; meinem Sohn, dem ich Gegenwärtiges in die Stadt schicke, überlasse noch einiges beyzupacken.
Mit den besten Wünschen
Ew. Wohlgeboren
ergebenster Diener
J. W. v. Goethe.