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An Sulpiz Boisserée
Hiebey läßt sich ferner die Bemerkung machen, daß dasjenige was ich Weltliteratur nenne dadurch vorzüglich entstehen wird, wenn die Differenzen, die innerhalb der einen Nation obwalten, durch Ansicht und Urtheil der übrigen ausgeglichen werden.
Aufgeregt durch vorstehende Werke, zugleich auch durch die mehrfachen Gedichte auf die Verlobung und Abschied und Vermählung unserer theuren Prinzeß kam mir der Gedanke, unsere lebenden weimarischen Dichter auf gleiche Weise zu behandeln, und ich vergegenwärtigte mir schnell ihre Lebensgeschichte, die allgemeine Tendenz, die besondern Talente und die Fähigkeiten der Einzelnen; auch machte das wirklich ein hübsches, nicht ungünstiges Bild und sprach unsere Stellung zu dem jetzigen dichterischen Jahrhundert recht freundlich aus. Dieser flüchtige Gedanke, der mich einige Tage beschäftigte, konnte leider bey soviel Ablenkungen zu keiner weiteren Folge gelangen.
[106] Hier hatte ich, durch manche Vorkommenheiten abgelenkt, den Auszug aus meinem Tagebuche stocken lassen. Ihr lieber Brief vom 1. October, so manche vertrauliche Mittheilung enthaltend, regt mich wieder auf und so fahre fort.
Ende May und Anfang Juni war das ununterbrochene Regenwetter für meinen Gartenaufenthalt höchst unerfreulich, doch hätte ich es überstanden und bessere Tage gehofft, wäre nicht die Communication mit der Stadt dadurch höchst beschwerlich geworden; da denn zuletzt die Ankunft des Herren Grafen Sternberg mich entschied, wieder hineinzugehen. Dieser treffliche Mann verweilte bey uns mehrere Tage und die mannichfaltigen Unterhaltungen mit demselben, besonders über naturhistorische Gegenstände, waren höchst förderlich. In unserm Fossilien-Kabinett hatte er die Gefälligkeit, eine schöne vorhandene Sammlung von Pflanzen der Urwelt in Ordnung zu bringen, wodurch sie erst ihren wahren Werth erhielt; auch über böhmische Angelegenheiten, alte und neue, historische und praktische, [gab er] gar vielfache Aufklärung.
Hierauf besuchte uns Herr v. Matthisson und zeigte, zwar als kluger Reisender, aber doch auch mit wahrem sentirten Antheil, sein Vergnügen an Helena.
Sodann kamen unzählige Engländer und Engländerinnen, die bey meiner Schwiegertochter gute [107] Aufnahme fanden, und die ich denn auch mehr oder weniger sah und sprach. Weiß man solche Besuche zu nutzen, so geben sie denn doch zuletzt einen Begriff von der Nation, ja so zu sagen von drey Nationen. Jüngere Männer aus den drey Königreichen leben hier in Pensionen, und so kommt man gar nicht aus der Gewohnheit, über sie nachzudenken. Eigentlich finden die Irländer in meinem Hause am meisten Beyfall.
Und so kam mir denn anfangs Juli des Baron Dupin Reise nach England sehr gelegen, ob mir gleich ein solches Werk mit gar zu großer Ableitung droht; auch mußte ich es wirklich bey Seite legen. The Prairies von Cooper führte uns in's westliche Amerika. Die französischen Werke: Les jours des barricades und Les états de Blois erinnerten an die verworrensten Zeiten. Ich aber ward durch eine Sammlung schottischer Balladen aufgeregt, einige zu übersetzen. So darf ich denn auch die schwedische Geschichte [zu erwähnen nicht vergessen], welche ein Hauptmann v. Ekendahl, jetzt bey uns gegenwärtig, höchst lobenswürdig geschrieben hat.
Was meine Werke betrifft, so arbeitete ich fort an den nächsten Lieferungen, besorgte die Correcturen der ersten zum Besten der Octavausgabe, arbeitete an den Wanderjahren und, was mehr ist, an Faust; da ich denn zur dritten Lieferung den Anfang des zweyten Theils zu geben gedenke. Die gute Wirkung [108] der Helena ermuthigt mich, das Übrige heranzuarbeiten; Helena bestünde zuletzt als dritter Act, wo sich denn freylich die ersten und letzten würdig anschließen müßten. Das Unternehmen ist nicht gering, das Ganze erfunden und schematisirt; nun kommt es auf's Glück der einzelnen
Fortsetzung nächstens.
treulichst
Goethe.