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An Johann Gottfried Herder

Ich bin mit dir, theils im Geiste theils durch deine Briefe an deine Frau, immer in Unterhaltung geblieben. Ich danke dir, daß du auch ein Wörtchen aus der Stadt an mich richtest. Ich habe herzlich mit dir gelitten, dagegen freue ich mich jetzt, daß alles gut geht.

[66] Daß meine Römischen Freunde an mich denken, ist sehr billig; auch kann eine leidenschaftliche Erinnerung an jene Zeit nicht aus meinem Herzen tilgen. Mit welcher Rührung ich des Ovids Verse oft wiederhole, kann ich dir nicht sagen:


Cum subit illius tristissima noctis imago,
Quae mihi supremum tempus in urbe fuit.

Ich fühle nur zu sehr, was ich verlohren habe, seit ich mich aus jenem Elemente wieder hieher versetzt sehe; ich suche mir es nicht zu verbergen, aber mich so viel als möglich auch hier wieder einzurichten. Ich fahre in meinen Studien fort, und hoffe dir in manchem entgegen zu arbeiten.

Es ist ganz natürlich, daß du dich gleichsam ausschließlich an die Statuen hältst. Sie sind uns ja allein von den besseren Zeiten der Kunst übrig. Bei Gemälden muß man schon, wie Spinozas Gott zum Irrthume, noch etwas hinzudenken, anstatt daß jene uns mit einem vollkommenen Begriff schon entgegen kommen.

In physiognomischen Entdeckungen, die sich auf die Bildung idealer Charaktere beziehen, bin ich sehr glücklich gewesen. Ich bin noch immer gegen jedermann darüber geheimnißvoll, und werde mich um so mehr beeifern, etwas zu thun, weil ich dich, noch wenn du von Rom kommst, in Verwunderung setzen möchte, das viel unternommen ist.

[67] Tasso ist noch immer nicht fertig. Bald darf ich nicht mehr davon reden, der achte Band ist bald gedruckt; ich schicke das erste Exemplar gleich an Angelika, damit Ihr es bald habet. Moritz ist nun schon 3 Wochen hier und thut uns allen sehr wohl, besonders haben ihn die Frauen sehr in Affection genommen, denen er allerlei Lichter aufsteckt. Es ist ein grundguter Mensch, und sein Aufenthalt hier wird ihm viel nutzen.

Ich freue mich, daß du Hirten auf den Gradwohl willst, um ihn gelegentlich zu rüsseln, welches ihm sehr nötig ist. Es ist würcklich ein guter und brauchbarer Mensch. Er mag den Brief immer an mich richten, wenn es ihm Spaß macht. Gib ihm nur die Erlaubniß dazu.

Wahrscheinlich wird dir dieser Brief nach Neapel folgen; möge er dich recht froh unter dem schönen Himmel finden!

Mit der Herzogin Mutter geht alles recht schön und gut. Wenn der Rückzug dem Eintritt gleich ist, wird es ihr so viel Ehre als Freude machen.

Deine Frau seh' ich von Zeit zu Zeit und öfter, wenn der geistliche Arzt nöthig sein will. Ich habe manche Dose moralischen Cremor tartari gebraucht, um die Schwingungen ihrer Elektraischen Anfälle zu bändigen. Jetzt ist sie sehr vergnügt. Daß Emil so glücklich durch die Blattern gekommen ist, ohne an seiner Gestalt oder seinem Humor etwas zu verlieren,[68] ist gar schön. Wenn ich nur deiner Frau, wie auch der Frau von Stein, die verwünschte Aufmerksamkeit auf Träume wegnehmen könnte. Es ist doch immer das Traumreich wie ein falscher Loostopf, wo unzählige Nieten und höchstens kleine Gewinnstchen unter einander gemischt sind. Man wird selbst zum Traum, zur Niete, wenn man sich ernstlich mit diesen Phantomen beschäftigt.

Lebe wohl und vollende glücklich deinen Lauf! Grüße alles. Gedenke mein!

W. den 27. December 88.

G.


Wir haben tiefen Schnee und große anhaltende Kälte, mitunter entsetzlichen Sturm. Ich habe mich in meinem Stübchen ganz eingepackt, indessen du in der freien schönen Welt herumwandelst. Jeder muß an die Reihe kommen.

Übrigens sei nur ruhig! Die guten Menschen gönnen dir alle die Reise, und wer wollte nach den andern fragen?

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1788. An Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-94ED-3