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An Johann Jacob von Willemer

Die Ankunft Herrn Andreä's wirkte freundlich auf die ganze Familie, der Knabe freute sich, von [208] seinem Herrn Pathen zu hören, die Tochter fühlte große Lust mit nach Berlin zu gehen, der Sohn wußte auch in's Gespräch zu greifen, indeß der Vater nicht nachließ, sich mit der geliebten Entfernten zu unterhalten, und ein gelehrter Freund sich mit dem wohlunterrichteten Reisenden besprach. Herr Andreä läßt uns Hoffnung ihn bey seiner Wiederkehr zu sehen, und so eben bringt auch Ober-Baudirector Coudray Nachricht von den Frankfurter Freunden, wodurch sie mir denn abermals vergegenwärtigt sind.

Wenn die Beantwortung Ihrer Briefe nicht zu Ihnen gelangt, so ist Schuld daß ich sie alle gleich und wiederholt im Sinne beantworte; der letzte begleitete mich nebst dem bräunlichen Gefährten nach Böhmen und gab zu mancherley erbaulichen Gedanken und Gefühlen Anlaß; da wurden denn zehen Wochen lang düstere und heitere Gegenden durchwandelt, Steine geklopft, mancherley Gutes mit alten und neuen Freunden genossen, bis bey leidlichem Befinden der Rückweg wieder anzutreten war. Gegen Mayn und Rhein sieht es freylich in dem gebirgigen Böhmen etwas trocken aus, doch wußte mit Klugheit beide Länder zu verbinden: gewisse bisher wohlverwahrte Weinflaschen waren mitgereis't, und höchst willkommen die Nachricht von Hause daß indessen wieder Rekruten angekommen.

Das räthselhafte Gefühl, dessen Auslegung Sie von mir verlangen, habe dem erhabenen Bakis vorgelegt,[209] welcher mir darauf eine gleich räthselhafte Antwort ertheilte, wie sie Wort für Wort hier bey folgt.

Das kleine schwarze zierliche Bildchen hat die wundersame Eigenschaft daß, wenn man es treulich und liebreich betrachtet, es augenblicklich nach Entfernung hellglänzend und freundlich als jemals erscheint, deshalb eine wiederholte Betrachtung jederzeit die freundlichsten Augenblicke hervorbringt.

Der von Herrn Andreä bey uns eingeführte Dr. Harnier hat, wie ich veranlaßte, aus Berlin geschrieben, wogegen ich ihm einige Briefe zusendete, ihm bey Freunden eine gute Aufnahme zu bereiten.

Die schöne Witterung, die uns bis jetzt begünstigt, hat die Blumenbeete vor meinem Fenster immerfort bunt erhalten, auch bis jetzt schadete der Frost nicht und sie machen sich in der hellen Sonne recht strack und lustig: gern würde ich, ehe sie ihr Häuptlein biegen, die schönsten Stengel ausbrechen, um auch diese Spätlinge der Theuren zuzusenden, die sich dem Spätherbst so freundlich erwiesen hat und erweis't.

Die übersendeten Stachelköpfe schmeckten fürtrefflich, mir und Freunden, die auf solche hier seit einiger Zeit völlig mangelnden Genüsse ungern Verzicht thun.

Da wir uns denn doch nun einmal an Tafel befinden, so wage ich auszusprechen, ob Sie wohl die Gefälligkeit hätten mir ein paar Krüge des Senfes, [210] wie er in dortiger Gegend mit Most bereitet wird, noch vor eintretender Kälte spediren zu lassen; es ist auch dieses, wie jene Distelfrüchte, eine Erinnerung an frühere Jahre und würde itzt sehr wohlthätig seyn, wenn wir unsere späten Gastmahle durch Ihre Freundlichkeit würzen könnten.

Nach allem diesen scheint es ein wunderlicher Übergang, wenn mir noch von Adelen zu sprechen einfällt, wahrscheinlich weil sie manchmal an unserm Familientische vorlieb nimmt. Es scheint ihr wie Ihnen gegangen zu seyn; denn trotz ihrem Verstand, einem ziemlich unbefangenen Blick und großer Redefreyheit war sie über Mühle und Müllerin sehr lakonisch; welches ich mir jedoch durch Bakis räthselhafte Enträthselung gewissermaßen erklären konnte.

Mögen Sie mir gelegentlich anzeigen, ob Rath Schlosser in Frankfurt und Graf Reinhard von Paris zurückgekehrt sey.

Tausend Lebewohl!

treulichst

anhänglich

Weimar d. 18. Nov. 1822.

G.


[Beilage.] Da das Ferne sicher ist... [211]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Johann Jacob von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9300-E