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An den Herzog Carl August
Rom d. 25. Jan. 88.
Welche Freude und Zufriedenheit mir Ihr Brief, an einem schönen Tage gebracht hat, kann ich Ihnen[324] nicht ausdrucken und hätte die Sorge für Ihre Gesundheit mich nicht wieder herabgestimmt; so könnte ich den gestrigen Tag als den fröhlichsten ansehn, den ich in Rom erlebt habe. Ich lief gleich nach erhaltnem Briefe ins Weite, denn wie Tristram die horizontale Lage für diejenige hält, in welcher man Freude und Schmerz am besten genießt und trägt; so ist es bey mir das Wandeln in freyer Luft, da dacht ich denn recht vieles durch und setze mich heute früh zu schreiben damit Sie durch den zurückkehrenden Courier einige Blätter erhalten.
Zuförderst dancke ich aufs schönste für das Tableau politique. Ich folge dem Lauf der Welt in den Zeitungen nach und um desto angenehmer war mir diese Ausfüllung und Bestimmung meiner allgemeinern Ideen. Der Antheil den Sie an den Geschäfften des Vaterlands und der Welt nehmen, liegt mir zunächst am Herzen, ich freue mich über alles was Ihnen gelingt, es ist mir tröstlich daß Ihre Mühe und Aufopferung anerkannt und mit einem ehrenvollen Zutrauen gelohnt wird. Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit wissen wie die Sachen stehen, an Ihrem gestrigen Briefe hab ich nun eine Weile zu zehren.
Sie wünschen, daß ich Ihre Frau Mutter in Italien erwarten möge, ich will mich darüber aufrichtig erklären.
Ostern war der letzte Termin den ich meinem Bleiben in Italien gesetzt hatte, auch Sie schienen [325] mich im Frühjahre zu Hause zu erwarten und ich habe rationem vitae et studiorum (worüber ich ein besonder Blat wenn ich Zeit habe beylege) völlig darauf eingerichtet, daß ich nach dem Feste Rom ohne Widerwillen verlassen kann. Ich erwartete daß Sie zu Hause anlangen und mir nach Lage der Sachen Ihre Gesinnung schreiben würden. Nun anticipiren Sie solche, ich kann mich darnach einrichten und will nun auch über die Reise der Frau Mutter meine Gedancken eröffnen. Jemehr ich mich bemühte nachzudencken und zu sorgen, wie ich ihr als ein getreuer Vorläufer den Weg bereiten könnte, desto mehr sah ich wie wenig man thun kann und wie nachher alles auf den Augenblick ankommt. Die größte Schwierigkeit war diejenige, welcher Sie erwähnen, daß Ihre Frau Mutter, mit Anstand, auch Menschen sehe, doch ohne zusehr seccirt zu werden, ohne zuviel Zeit über den wechselseitigen Egards zu verliehren. Ich habe mich zwar ganz aus der Welt gehalten, kenne aber doch so ziemlich die hiesige Societät, sie ist wie überall und noch überdieß sehr exigeant, weil man würcklich in dem großen Rom ein wenig kleinstädtisch ist. Die Herzoginn muß eine römische Dame zur Seite haben welche sie überall einführt, und wenigstens zu Anfangs begleitet. Ich habe mit Angelika (die ein Engel von Verstand und Conduite ist) darüber gesprochen und wir haben wohl zwey Damen gefunden, doch ist bey einer jeden wieder ein Aber. Der Senator [326] ist wieder zurück er wird gewiß alles thun, indeß bleibt es immer eine gefährliche Sache sich ganz fremden Menschen in die Hände zu liefern und es ist immer das Resultat zu befürchten das Sie in Ihrem Briefe so lebhaft schildern. Eben so ists in Florenz und Neapel. Am ersten Ort kann die Herzoginn nicht ausweichen Milady Kuper zu sehn und auch den Hof, wenn er nicht in Pisa ist, in Neapel ist derselbe Fall. Genug ich könnte wohl im allgemeinen einige Lebensregeln geben, die aber doch am Ende nur auf einen Polonius Seegen hinaus liefen.
Wenn es nun aber Ihre Gesinnung ist daß ich in Italien bleiben soll; so wird es meine Schuldigkeit für alles und auch für diesen Punckt zu sorgen. Nun paßt es grade daß ich zu meiner bißherigen ratione vitae übergehe.
Die Hauptabsicht meiner Reise war: mich von den phisisch moralischen Übeln zu heilen die mich in Deutschland quälten und mich zuletzt unbrauchbar machten; sodann den heisen Durst nach wahrer Kunst zu stillen, das erste ist mir ziemlich das letzte ganz geglückt.
Da ich ganz frey war, ganz nach meinem Wunsch und Willen lebte; so konnte ich nichts auf andre, nichts auf Umstände, Zwang oder Verhältnisse schieben, alles kehrte unmittelbar auf mich zurück und ich habe mich recht durchaus kennen lernen und unter manchen Mängeln und Fehlern ist der welchen [327] Sie rügen nicht der letzte. Ganz unter fremden Menschen, in einem fremden Lande zu leben, auch nicht einen bekannten Bedienten zu haben an den man sich hätte anlehnen können, hat mich aus manchen Träumen geweckt, ich habe an munterm und resolutem Leben viel gewonnen. Als ich zuerst nach Rom kam, bemerckt ich bald daß ich von Kunst eigentlich gar nichts verstand und daß ich biß dahin nur den allgemeinen Abglanz der Natur in den Kunstwercken, bewundert und genossen hatte, hier that sich eine andre Natur, ein weiteres Feld der Kunst vor mir auf, ja ein Abgrund der Kunst, in den ich mit desto mehr Freude hineinschaute, als ich meinen Blick an die Abgründe der Natur gewöhnt hatte. Ich überließ mich gelassen den sinnlichen Eindrücken, so sah ich Rom, Neapel, Sicilien und kam auf Corpus Domini nach Rom zurück. Die großen Scenen der Natur hatten mein Gemüth ausgeweitet und alle Falten herausgeglättet, von der Würde der Landschafts Mahlerey hatte ich einen Begriff erlangt, ich sah Claude und Poussin mit andern Augen, mit Hackert, der nach Rom kam, war ich vierzehn Tage in Tivoli, dann sperrte mich die Hitze zwey Monate in das Haus, ich machte Egmont fertig und fing an Perspecktiv zu treiben und ein wenig mit Farben zu spielen. So kam der September heran, ich ging nach Fraskati, von da nach Castello und zeichnete nach der Natur und konnte nun leicht bemercken was mir [328] fehlte. Gegen Ende Oktobers kam ich wieder in die Stadt und da ging eine neue Epoche an. Die Menschengestalt zog nunmehr meine Blicke auf sich und wie ich vorher, gleichsam wie von dem Glanz der Sonne, meine Augen von ihr weggewendet, so konnte ich nun mit Entzücken sie betrachten und auf ihr verweilen. Ich begab mich in die Schule, lernte den Kopf mit seinen Theilen zeichnen und nun fing ich erst an die Antiken zu verstehen. Damit brachte ich November und December hin und schrieb indessen Erwin und Elmire auch die Hälfte von Claudinen. Mit dem ersten Januar stieg ich vom Angesicht aufs Schlüsselbein, verbreitete mich auf die Brust und so weiter, alles von innen heraus, den Knochen Bau, die Muskeln wohl studiert und überlegt, dann die Antiken Formen betrachtet, mit der Natur verglichen und das karackteristische sich wohl eingeprägt. Meine sorgfältige, ehmalige Studien der Osteologie und der Körper überhaupt, sind mir sehr zu statten gekommen und ich habe gestern die Hand, als den letzten Theil der mir übrig blieb, absolvirt. Die nächste Woche werden nun die vorzüglichsten Statuen und Gemählde Roms mit frischgewaschnen Augen besehen.
Diesen Cursum habe ich an der Hand eines Schweitzers, Nahmens Meyer, eines gar verständigen und guten Künstlers, gemacht, und ein junger Hanauer, Nahmens Büry, der mit mir zusammen wohnt und ein gar resolutes gutes Wesen ist hat mir nicht wenig[329] geholfen. Meine Absicht ist nun, im Februar einige Landschaftszeichnungen zu kopiren, einige Veduten nach der Natur zu zeichnen und zu koloriren und so auch darin sichrer zu werden. Den März wollte ich anwenden, das wichtigste nochmals zu durchlaufen, einige Menschen zu sehen, dann die Benedicktion aufladen und von Rom für dießmal Abschied nehmen. Bestimmt mich nun aber Ihr Wille hier zu bleiben, Ihrer Frau Mutter zu dienen; so werde ich von Ostern an ein neues Leben beginnen, um mich zu dem Posten eines Reisemarschalls zu qualificiren. Ich nehme ein neues Blat, um Ihnen meinen Plan vorzulegen und Ihre Approbation einzuholen.
Bisher habe ich allen widerstanden die mich in die Welt ziehen wollten, weil es mir am ersten um meine Hauptsachen zu thun war, weil die Welt nicht giebt sondern nimmt und weil ich täglich mehr Abneigung empfinde etwas halb zu thun. Nun aber werde ich mich equippiren, einen Bedienten anschaffen mein Quartier besser bestellen, genug mich so einrichten daß ich als der Ihrige öffentlich auftreten kann und am anständigen nichts fehlt. Zuerst will ich den Cardinal Herzan und den Senator besuchen, dann zum Card. Staatssekretair und zu Card. Bernis gehn, somit sind die Schleußen aufgezogen und das übrige folgt von selbst, ich will den Monat Aprill ganz dieser Ausbreitung widmen, denn ich muß mich selbst wieder daran gewöhnen und das Leben mit mehreren Menschen[330] auch als Studium und Übung tracktiren. Ich habe schon das Vertrauen eines verständigen Mannes, der in der Welt lebt erworben, mit dessen Hülfe will ich bald alle Verhältniße kennen lernen und sehen was die Herzoginn zu thun und zu lassen hat.
Was den Genuß der Natur und der Kunst betrifft; so bin ich gewiß daß ihr ihn niemand so verschaffen kann, wie ich es im Stande bin, kann ich noch das Verhältniß gegen das Publikum schicklich und wenig lästig machen; so werde ich mich meines Dienstes nicht zu schämen haben.
Vielleicht schickt es sich im May eine Excursion nach Neapel zu machen. Ich präsentire mich alsdenn auch dort bey Hofe und sondire das Terrain, eben so machte ich es in Florenz, wenn ich der Herzoginn entgegen gehe, denn es wäre meine Absicht sie in Verona zu empfangen. Kommt sie alsdenn mit jemand an, der schon bekannt (und wie ich mich zu betragen hoffe, beliebt) ist; so macht sich alles leichter, besonders da man sowohl in Neapel als Florenz auf einem natürlichen Fuß bey Hofe (insofern sich das dencken läßt) lebt und alles ohne Etiquette und Steifheit wird abgethan werden können. Was die häuslichen Einrichtungen betrifft, diese sollen bestens bedacht werden. Einen großen Dienst werde ich der Herzoginn erzeigen können: ihr alle leidige Verkäufer vom Halse zu halten, welche ein wahres aufpassendes Geschmeiß sind und ein besonder [331] Geschick haben Reisende zu kompromittiren und sich anzudringen.
Ich werde ihr einige Sachen bestellen und anschaffen, die ihr Freude machen mit wenigem, ich habe diese Materie aus dem Fundament zu studiren Gelegenheit gehabt.
Wegen meiner Ausgaben dient folgendes zur Nachricht. Ich habe die Summe, welche ich Ihrer Güte und Vorsorge dancke bisher fort erhoben und sie nach Abzug dessen was mir meine fortgehende Wirthschafft kostet auf die Reise verwendet, dabey noch 1000 rh. welche mir die vier ersten Bände meiner Schriften eintrugen verzehrt. Bey meiner Lebensart hätte ich sollen wohlfeiler davon kommen, allein meine Existenz ist wieder auf eine wahre Wilhelmiade hinausgelaufen. Doch kann ich völlig zufrieden seyn meine Entzwecke aus dem Grunde erreicht zu haben. Auch habe ich Bedacht gehabt mein Inkognito selbst, durch eine mäßige und schickliche Freygebigkeit respecktable zu machen und dadurch daß ich einige Künstler immer mit mir leben ließ, zugleich Lehrer Freunde und Diener erworben. Es hat sich alles so hübsch gemacht, daß ich völlig zufrieden seyn kann. Das Osterquartal und den Betrag des fünften Bandes, hatte ich zu meiner Rückreise bestimmt und wäre ohne das mindeste Derangement in meine alte Haushaltung wieder eingetreten. Auch will ich gern wenn Sie mir Ihre Güte kontinuiren was mir dieses Jahr von meinen Schriften [332] einkommt fernerhin anwenden und werde mir nur das surplus von Ihrer Frau Mutter erbitten, damit ich rein und ohne Sorgen bleibe. Daß ich mich ein wenig equippiren und ein ander Quartier beziehen muß, wird einigen Aufwand machen. So weit meine Vorschläge, welchen ich Ihren Beyrath und Billigung wünsche.
Noch will ich niemand entschieden schreiben daß ich hier bleibe, auch von Ihnen noch von Weimar aus nähere Bestimmung erwarten. Ich schreibe auch Ihrer Frau Mutter nichts und richte mich nur indessen gelassen hier drauf ein.
Was Ihre innere Wirthschaft betrifft, haben Sie an Schmidten, einen trefflichen Rathgeber, er ist ein Haushälter von Haus aus, ohne Ihre Finanzen in seinen Händen zu wissen, könnte ich nicht einen Augenblick ruhig seyn. Von Wetkens Tod wird wohl zu profitiren seyn. Sollten Sie etwa den alten Bachmann zum Assessor machen; so gedencken Sie Seidels den ich Ihnen in einem Briefe schon empfohlen. Lassen Sie seine Fähigkeiten prüfen, für seine Treue und Honnettetät steh ich.
Das nunmehr versicherte Glück des Bergwercks freut mich unendlich und wir können nun mit ernstlichen Anstalten dem Wercke entgegen gehn. An Voigten haben Sie einen tüchtigen Arbeiter, geben Sie ihm zu den Ilmenauer Sachen einen jungen Mann zu. Ich habe schon deshalb an ihn geschrieben, er wird mit[333] Schmidt sprechen und man wird Ihnen die Sache vorlegen. Ich wiederhohle nochmals: daß wenn Sie bey Ihrer Zurückkunft mich nötig finden sollten; ich auf jeden Winck zu kommen bereit bin. Gar manches macht mir den Rückweg nach Hause reitzend. Ohne Ihren Umgang, den Umgang geprüfter Freunde länger zu leben ist denn doch so eine Sache. Das Herz wird in einem fremden Lande, merck ich, leicht kalt und frech, weil Liebe und Zutrauen selten angewandt ist. Ich habe nun soviel in Kunst- und Natur-Kenntniß profitirt, daß ein weiteres Studium durch die Nähe unsrer Akademie Jena sehr erleichtert werden würde. Hier ist man gar zu sehr von Hülfsmitteln entblößt. Dann hoffte ich auch meine Schriften mit mehr Musse und Ruhe zu endigen, als in einem Lande wo alles einen ausser sich ruft. Besonders wenn es mir nun Pflicht wird der Welt zu leben.
Bestätigen Sie mir Ihren Willen daß ich Ostern hier bleiben soll; so sehe ich mich als einen Diener der Herzoginn an und subordinire meine übrige Existenz dieser Pflicht. Es wird mir Anfangs wunderbar vorkommen und doch für die Zukunft heilsam seyn, daß ich genötigt werde wieder unter allerley Menschen zu leben.
Luchesini habe ich, seit er wieder in Rom ist, kaum gesehen. Er lebt ganz in der Welt, wie es seine Bestimmung fordert und auch zu Hause ist er nicht einen Augenblick allein. Seit Neapel, da er mir von [334] Ihnen und den Geschäfften erzählte, habe ich kein vertraulich Wort mit ihm sprechen können, so geneigt ich um Ihret und Meinetwillen dazu war. Sowohl in Neapel als nachher in Rom, da ich nur seine Ankunft erfuhr, bin ich zu ihm geeilt, wenn ich ihn nicht traf, hab ich mir einen zweyten Weg nicht reuen lassen. Dagegen hat er mich weder durch ein p. p. c. geehrt, noch mir auch seine zweyte Ankunft in Rom nur wissen lassen. Wir wohnen in derselben Straße, etwa 500 Schritte von einander, er ist den ganzen Tag in der Kutsche und es ist ihm nie eingefallen nur vorm Hause zu halten und ein Billet heraufzuschicken. Ich rechne es auf die Geschäfftigkeit seines Geistes, der hier zu thun genug findet. Ich bin ihm zu nichts nütze drum sucht er mich nicht. Ich finde es natürlich und bitte daß Sie Sich nichts mercken lassen. Er ist hier natürlich sehr gern gesehn und sie ist auch wohl gelitten.
Nun wäre wohl Zeit, daß ich dießmal schlöße. Ich habe lang die Freude nicht gehabt mich ganz offen und frey gegen Sie zu erklären und kann nun auch nicht endigen.
Meine größte Sorge, die ich zu Hause habe ist Fritz. Er tritt in die Zeit wo die Natur sich zu regen anfängt und wo leicht sein übriges Leben verdorben werden kann. Sehen Sie doch auch ein wenig auf ihn.
Gehen Sie mit Sich Selbst so gelind als möglich[335] um. Ihre phisischen Übel lassen mich nie ohne Sorge und es muß auch Ihr Gemüth, in einem immer geschäftigen und doch meist genußlosen Leben, leiden.
Erhalten Sie mir Ihre Liebe ein Geschenck das mir jeden ältern Verlust ersetzte und mir jeden neueren ertragen machte und bleiben Sie überzeugt daß bey einer wahren Harmonie der Gemüther man einander immer wieder begegnet, wenn man noch so weit auseinander zu gehen scheint.
G.