36/119.
An Ernst Heinrich Friedrich Meyer
Ew. Wohlgebornen
freundliches Schreiben bewillkommte mich sehr angenehm bey meiner Rückkunft aus Böhmen.
Die Recension von Nees von Efenbecks Botanik nahm ich mit auf die Reise, sowohl um selbst sie näher zu betrachten, als auch sie dem Herrn Grafen Sternberg vorzulegen. Mit diesem höchst merkwürdigen [161] Manne bracht ich vierzehn Tage in Marienbad zu; er nannte mir Ihren Namen, freute sich Ihrer Correspondenz und gab gedachte Recension so wie die Betrachtung Ihrer Denkweise eine höchstwerthe Unterhaltung. Ich sah ihn nachher auf seiner Durchreise nach München in Eger, begleitet von den Herren Berzelius und Pohl, und fand mich auf gar mancherley Weise bey meinem zehnwöchentlichen Aufenthalt in Böhmen gefördert und erquickt.
Soviel für dießmal in dankbarer Anerkennung des unmittelbar und mittelbar an mich Gelangten! Mehr kann ich nicht, in dem Augenblicke großen Zudrangs, erwidern. Lassen Sie mich das einzige sagen, worin wir im Ganzen zusammen treffen; die Wissenschaft, anstatt sich in die Mitte zu stellen zwischen Natur und Subject, geht darauf aus, sich an die Stelle der Natur zu setzen, und wird nach und nach so unbegreiflich als diese selbst. Will nun der unbewußte Mensch hier sich in Worten aussprechen, so haben wir den traurigen Mysticismus der das Labyrinth verwirrt.
Verzeihen Sie daß ich, um nur nicht zu schweigen, allzu wenig sage; lassen Sie mich von Ihren ferneren Arbeiten gelegentlich wissen. Mit der fahrenden Post gehen die zwey Bände meiner Bemühungen um die Natur an Sie ab: ich hoffe, Sie werden nichts Ihrer Sinnesweise Widersprechendes darin finden, wäre es aber, so bemerken Sie es mir ja. Nach allen Ihren [162] Äußerungen überzeuge ich mich, daß Sie auf dem rechten Standpunct beharren. Möge doch Ihr Wirken auch mir noch lange zu Gute kommen.
treulich theilnehmend
Goethe.