14/4007.

An Johann Jakob Hottinger

In der Beylage habe ich dasjenige was allenfalls für den Augenblick zweckmäßig seyn dürfte um so lieber zusammengestellt, als der Inhalt derselben der Wahrheit völlig gemäß seyn konnte. Die Stelle deren ich gedenke ist in Coppenhagen wirklich offen, und in einem Briefe, der vor kurzem dahin abgegangen, ist Ihrer gegenwärtigen Lage, verehrtester Mann vorläufig gedacht worden. Auf alle Fälle ersuche ich Sie mir von Zeit zu Zeit Nachricht [38] von Ihrem Zustande zu geben, so wie ich nicht verfehlen werde auf alle vorkommende Gelegenheiten die Ihnen nützlich seyn könnten aufmerksam zu bleiben. Der ich mich Ihrem Andenken und Zutrauen abermals bestens empfohlen haben will.

Weimar am 15. März 1799.

Goethe.


[Beilage.]

Schon dreymal besuchte ich die Schweiz. Von meinen beyden ersten Reisen behielt ich die angenehmsten Erinnerungen für den größten Theil meines Lebens, bey dem dritten Mal ist mirs nicht so wohl geworden, mein Antheil an den gegenwärtigen Schicksalen dieses Landes ist nur schmerzlicher, indem ich vor kurzem das Anschauen der Gegenden, die Bekanntschaft mit Menschen erneuerte, und dadurch die mancherley Übel und Leiden auf das nächste vergegenwärtigt vor mir stehen.

Möge die Alles heilende Zeit aus dieser traurigen Krise das beste hervorbringen, wir dürfen kaum hoffen von den Schmerzen die sie uns bringt geheilt zu werden.

Solche und andere Betrachtungen bewegen mich Ihnen, würdigster Mann, zu schreiben in der Überzeugung, daß Sie meine Gesinnungen nicht verkennen werden. Wer hätte sonst daran denken dürfen, einen Schweizer aus seinem Vaterlande zu rufen, aus einem Lande wohin sich so mancher anderer Europäer sehnte! [39] Bey der gegenwärtigen Umwälzung kann es aber wohl nicht anders seyn, als daß Männer von Talenten die in friedlichen Zeiten unter jeder Regierungsform nach Verdienst geschätzt seyn würden, in solchen Augenblicken äußerst leiden müssen, wo dringende Nothwendigkeit alle andere Betrachtungen aufhebt.

Sie haben, würdigster Mann, von der Staatsveränderung Ihres Vaterlandes sehr gelitten; Sie stehen nicht allein, Sie haben Familie und müssen in der gegenwärtigen Lage Ihren Wirkungskreis äußerst verengt fühlen. Aber glücklicher Weise haben Sie Kenntnisse, Talente, deren Ausübung an keinen Boden gebunden ist, die überall willkommen überall zu Hause sind.

In unsern Gegenden sowohl als weiter nordwärts, man noch gegenwärthig einer glücklichen Ruhe genießt, hat man die Überzeugung wie nothwendig es sey alte Sprachen und Literatur fortzupflanzen. Bey dem schwankenden und losen Geschmack der Zeit kann man jene Norm nicht sorgfältig genug bewahren. So denkt man z.B. bey uns daran, ein schon bestehendes Gymnasium in lebhaftere Thätigkeit zu setzen auf der Akademie Jena solche Kenntnisse immer mehr zu verbreiten; besonders aber ist mir bekannt daß in einer großen Hauptstadt man ein philologisches Seminarium zu errichten gedenkt, zu welchem einige deutsche Gelehrte berufen waren, die man aber von ihren Stellen nicht entlassen konnte.

[40] Bey dieser Gelegenheit hat man erst bemerken können, wie klein die Anzahl der Männer sey welchen ein solches Amt übertragen werden könnte, und man wird an mehr als Einem Orte bey eröffneten ähnlichen Stellen, sich in nicht geringer Verlegenheit finden.

Sollten Sie daher, würdigster Mann wie ich zwar nicht wünsche vielleicht in dem Falle seyn oder darein kommen, in Ihrem Vaterlande theils als Hausvater theils als Lehrer allzusehr eingeengt zu werden und daher dasselbe zu verlassen sich gedrungen fühlen so bitte ich mir darüber einen Wink zu geben, weil ich nichts so sehr wünschte als Gelegenheit zu finden zugleich Ihnen und dem Lande wohin Sie berufen werden könnten einen soliden Dienst zu erzeigen.

Ich darf wegen meiner Zudringlichkeit nicht um Vergebung bitten. Das Unwahrscheinlichste wird in unsern Tagen möglich, und es bleibt jedem denkenden, entschloßnen Manne der sich einige Selbständigkeit fühlt, nichts übrig, als daß er den Muth und die Fähigkeit sich zu verpflanzen bey sich erhalte. In dem Augenblick da man überall beschäftigt ist, neue Vaterlande zu erschaffen, ist für den unbefangen denkenden, für Den der sich über seine Zeit erheben kann, das Vaterland nirgends und überall.

Der ich mich zu geneigtem Andenken bestens empfehle.

Weimar am 15. März 1799.

Goethe. [41]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1799. An Johann Jakob Hottinger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8902-C