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An August von Goethe

Carlsbad den 29. April [1820].

Nachmittags um 3 Uhr sind wir glücklich hier angekommen, mit bedecktem Himmel, ohne einen Tropfen Regen. Wie man an Straße und Äckern sah mußte es gestern, und mächtig stark niedergegangen seyn. So eine erfreuliche Woche wie die vergangene erinnere ich mich nicht. Mäßige körperliche Bewegung, neue Gegenstände und die alten von einer neuen Seite, mehr bedarf es nicht zum Wohlbefinden des Leides und der Seele. In Alexandersbad uralte, einzige Felsentrümmer, durch architektische Gärtnerey gefällig-spazierbar und im einzelnen dem Auge faßlich gemacht, erregen Bewunderung.

In Marienbad ein abhängiger, großer Wiesenraum, mit den anständigsten Gebäuden stufenweise [2] umgeben. Das Zufällige, was bey solchen Anlagen sich immer vorfindet und eintritt, war schnell genug durch eingreifende obere Leitung geregelt; der Plan, den man mir vorzeigte, ist, nach den besondern, wirklich wunderlichen Umständen, untadelhaft; man sieht die Angestellten sind gewohnt in's Große zu arbeiten. Das Ganze sieht aus als hätte Dido soeben ihre Riemen um den Raum geschlagen und nun ginge das Bauen los. Seit drey Jahren ist es erst recht Ernst, in den nächsten dreyen wird man Wunder sehen. Das Wunder aber wird dadurch bewirkt, daß das Haus, im ersten Jahre, wo es kaum fertig dasteht, schon zehn Procent einträgt. Dadurch werden nicht allein die Umwohner, sondern auch Fremde angelockt, und mancher, vermuth ich, um sein unsicheres Papiergeld zu fixiren. Der Prälat von Töpel ist ein Mann von einigen vierzig Jahren, der Sache geneigt und von oben her aufgemuntert; auch sieht man dem ganzen Benehmen eine gewisse geistliche Zucht und Ordnung an. Von der Lage des Orts und seinem Verhältniß zum Lande wäre viel zu sagen. Es liegt auf der Gebirgshöhe, von welcher die Töpel herab nach Carlsbad fließt, aber wagerecht mit dem obern flachen Lande, das sich gegen Plan und Pilsen zieht. Man fährt von der Ackerfläche sogar noch etwas hinunter, wie ohngefähr nach Tiefurt. Freylich fängt alsdann unmittelbar das Waldgebirge hinabwärts an. Alle Abänderungen von Granit kommen vor, seltener Gneis [3] mit Almandinen, die, gedruckt als Flasern drinne liegen, wie die Zwillingscrystalle im Gneus bey Petschau.

Wir haben von dem sämmtlichen Urgestein Musterstücke mitgenommen und einen Kasten in Eger stehen lassen. Herrn Huß habe ich auch besucht, er hat sich sehr an dem Andenken Serenissimi erfreut. Seine Sammlung hat sich außerordentlich vermehrt; sie durchzusehen hat mich fast mehr ermüdet als das Besteigen der Luisenburg. Den famosen Humpen, den ich dießmal zu gewinnen hoffte, hatte Fürstin Czartoryska vor einigen Jahren entführt.

In Carlsbad fand ich mich völlig im Alten; es war als wenn ich träumte oder geträumt hätte, denn alles fand sich wie gestern. Der Ort ist stille, wie ich ihn wünsche, und ich hoffe in allen meinen Geschäften vorwärts zu kommen.

Sonntag den 30. Mit Wassertrinken angefangen, mit Spazierengehn, Einrichtungen, Abrechnung fortgesetzt. Dein zweyter Brief kam an und erfreute mich; fahre so fort, daß die Kluft, die uns trennt, ausgefüllt bleibe, auch ich werde von meiner Seite das Gleiche thun.

Der Wein ist noch nicht angekommen, er liegt wahrscheinlich auf der Gränze. Sie haben bey der Mauth neue Chicanen ersonnen, um diese, den Kurgästen zugestandene Gunst zu schmälern; ich will nun sehen wie ich ihn hierher schaffe. Übrigens kannst du[4] denken in welchem seligen Zustande die Menschen hier leben, man findet keine Zeitung, auch nicht einmal die inländischen. Mich vertröstet man auf den 15. dieses Monats.

Bey dem Steuerwesen macht man hier nicht viel Abschätzungs-Umstände; der Kaiser befiehlt die Auflage auf's Bier, anstatt in Papier, künftig in Silber zu zahlen, wodurch sie ohne weiteres mit drey Fünftel vermehrt ist. Ebenso erhebt man von Fremden den Beytrag zu den Park- und sonstigen Anlagen; wir zahlen, statt vier Kopfstücken, zwölfe. Man schilt, aber man zahlt. Es soll eine Auflage auf die einzelnen Zimmer im Werke seyn. Freylich die Hausbesitzer in den Bädern gewinnen über die Maßen, aber die neue Steuer werden sie den Fremden schon abnehmen, so sieht es eben überall aus.

Nun lebet wohl und häuslich, das ist zuletzt denn doch das Beste. Auf eure Recension des Trauerspiels bin ich sehr neugierig. Hier ist die Bühne schon eröffnet. Auf morgen ist alles zum Jahrmarkt vorbereitet, ich freue mich sehr darauf, denn da sieht man auf einmal was die einen brauchen und was die andern anbieten.

Beykommendes an Rath Vulpius.

bey einbrechender Walpurgis-Nacht.

G. [5]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8788-E