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An Friedrich Schiller

Ich freue mich daß Sie so viel Gutes von demSammler sagen mögen. Wie viel Antheil Sie an dem Inhalt und an der Gestalt desselben haben wissen Sie selbst, nur hatte ich zur Ausführung nicht die gehörige Zeit und Behaglichkeit so daß ich fürchtete [116] das Ganze möchte ein nicht genug gefälliges haben. Auch hätte man bey mehrerer Muße die scharfen Ingredientien etwas mehr Syrup einwirken können. Indessen thut vielleicht dem Ganzen diese skizzirte Manier nur um so viel besser. Wir selbst haben dabey viel gewonnen, wir haben uns unterrichtet, wir haben uns amusirt wir machen Lärm und das gegenwärtige Propyläenstück wird gewiß doppelt so viel gelesen als die vorigen. Der wahre Nutzen aber für uns steht noch eigentlich bevor. Das Fundament ist gut und ich bitte noch recht streng darüber zu denken. Meyer hat die Idee mit Neigung aufgefaßt und es sind sehr wichtige Resultate zu erwarten. Ich sage davon vorläufig nur so viel.

Alle neuern Künstler gehören in die Klasse des Unvollkommenen und fallen also mehr oder weniger in die getrennten Rubriken. So hat Meyer erst gestern, zu seiner größten Zufriedenheit entdeckt daß Julius Roman zu den Skizzisten gehört.

Meyer konnte mit dem Charakter dieses Künstlers bey großen Studien über denselben nicht fertig werden nunmehr glaubt er aber daß durch diese Enunciation das ganze Räthsel gelöst sey. Wenn man nun den Michel Angelo zum Phantasmisten den Correggio zum Undulisten den Raphael zum Charakteristiker macht; so erhalten diese Rubriken eine ungeheure Tiefe indem man diese außerordentlichen Menschen in ihrer Beschränktheit betrachtet und [117] sie doch als Könige, oder hohe Repräsentanten ganzer Gattungen, aufstellet. Nachahmer werden wohl die Deutschen bleiben und Nebulisten giebt es in der ältern Kunst gar keinen; Oeser hingegen wird als ein solcher wohl aufgeführt werden. Wer hindert uns, wenn wir diese Materie noch recht durchgedacht haben eine Fortsetzung des Sammlers auszuarbeiten. Diese Production wird uns immer reizen, da sie das Kunsterforderniß von Ernst und Spiel selbst so redlich vereinigt.

Was aber auch dieß seyn und wirken mag so wird doch die Arbeit über den Dilettantismus eine weit größere Breite einnehmen. Sie ist von der größten Wichtigkeit und es wird von Umständen und vom Zufall abhängen auf welche Weise sie zuletzt producirt wird. Ich möchte ihr gar zu gern auch eine poetische Form geben, theils um sie allgemeiner, theils um sie gefälliger wirken zu machen. Denn wie Künstler, Unternehmer Verkäufer und Käufer und Liebhaber jeder Kunst im Dilettantism ersoffen sind, das sehe ich erst jetzt mit Schrecken, da wir die Sache so sehr durchgedacht und dem Kinde einen Nahmen gegeben haben. Wir wollen mit der größten Sorgfalt unsere Schemata nochmals durcharbeiten, damit wir uns des ganzen Gehaltes versichern, und dann abwarten, ob uns das gute Glück eine Form zuweist in der wir ihn aufstellen. Wenn wir dereinst unsere Schleußen ziehen, so wird es die grimmigsten [118] Händel setzen denn wir überschwemmen geradezu das ganze liebe Thal, worin sich die Pfuscherey so glücklich angesiedelt hat. Da nun der Hauptcharakter des Pfuschers die Incorrigibilität ist und besonders die von unserer Zeit mit einem ganz bestialischen Dünkel behaftet sind, so werden sie schreyen, daß man ihnen ihre Anlagen verdirbt, und wenn das Wasser vorüber ist wie Ameisen nach dem Platzregen alles wieder in alten Stand setzten. Doch das kann nichts helfen, das Gericht muß über sie ergehen. Wir wollen unsere Teiche nur recht anschwellen lassen und dann die Dämme auf einmal durchstechen. Es soll eine gewaltige Sündfluth werden.

Gestern sahen wir die neuen Blätter der chalkographischen Gesellschaft. Es ist unglaublich was auch diese zu pfuschen anfängt, und der Dünkel der Unternehmer ist dem Unbegriff gleich. Die Wahl des Kunstwerks das sie in Kupfer bringen, ist schon unglücklich die Art wie es nun übersetzt werden so soll falsch gewählt. Das wissen sie freylich beydes nicht, aber, wo sie sichs nicht verbergen können helfen sie sich dadurch daß sie sich ihrer Sparsamkeit erfreuen, weil die schlechten Originale nichts kosten.

So habe ich auch neulich einen poetischen Dilettanten bei mir gesehen, der mich zur Verzweiflung gebracht hatte, wäre ich nicht in der Stimmung gewesen ihn naturhistorisch zu betrachten, um mir einmal [119] von dem Gezücht einen recht anschaulichen Begriff zu machen.

Damit sey es für heute genug. Es bleibt uns nun einmal nichts übrig als auf dem einmal eingeschlagnen Wege fortzugehen, dabey soll es aber auch treulich verbleiben. Ich nutze meine Tage so gut ich kann und setzte wenigstens immer einige Steine im Brete vorwärts. Thun Sie das Gleiche, bis zu unserm erfreulichen Wiedersehn. Grüßen Sie Ihre liebe Frau und danken ihr für den Antheil den sie an der letzten Arbeit nimmt. Ich gehe nun dem Schicksal des übrigen Tages entgegen.

Weimar am 22. Juni 1799.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1799. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8476-0