[116] 15/4294.
An Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
Das zweite Stück Ihrer Zeitschrift habe ich erhalten und darin viel belehrendes, belebendes und erfreuliches gefunden; hätten Sie mit dem allerliebsten poetischen Fragment das Heft geschlossen, so würden Sie uns mit einem ganz reinen Genuß entlassen haben.
[116] Die allgemeinen Betrachtungen Seite 22 u. f. sind mir recht aus und zu meiner Überzeugung geschrieben, und ich kann hoffen, daß ich, auch im besondern, Sie nach und nach völlig verstehen werde.
Seitdem ich mich von der hergebrachten Art der Naturforschung losreißen und, wie eine Monade, auf mich selbst zurückgewiesen, in den geistigen Regionen der Wissenschaft umherschweben mußte, habe selten hier- oder dorthin einen Zug verspürt; zu Ihrer Lehre ist er entschieden. Ich wünsche eine völlige Vereinigung, die ich durch das Studium Ihrer Schriften, noch lieber durch Ihren persönlichen Umgang, so wie durch Ausbildung meiner Eigenheiten ins allgemeine, früher oder später, zu bewirken hoffe und die um desto reiner werden muß, je langsamer ich zu verfahren, je getreuer ich meiner eigenen Denkart dabei zu bleiben genöthigt bin.
Die Einsicht in das System des transscendentalen Idealismus hat Herr Doctor Niethammer die Gefälligkeit mir zu erleichtern, und so werde ich mir die Deduction des dynamischen Processes immer mehr aneignen können. Alsdann erst wird es Zeit sein, im Einzelnen meine Beistimmung oder meine Einwendungen vorzulegen. Fahren Sie fort wohl zu leben und thätig zu sein, und wenn Sie nicht so bald wieder zu uns zurückkehren sollten, so lassen Sie mich von Zeit zu Zeit von Sich und dem, was Sie zunächst umgiebt, etwas hören.
[117] Grüßen Sie Herrn Schlegel und wenn das kleine Bild von Meister Hans um ein leidliches zu acquiriren ist, so wird es mir ein Vergnügen machen es zu besitzen.
Jena, den 27. Sept. 1800.
Goethe.