10/2979.

An Christian Gottlob Voigt

Im Lager vor Maynz d. 31. May 93.

Kaum war ich einige Tage hier wo ich Durchl. den Herzog wohl und munter und alles artig eingerichtet fand, indem man die Zelten mit Lauben erweitert und ausgeschmückt, ein Speisezimmer gebaut, Küche und Keller eingegraben und die ganze militarische Haushaltung auf einen angenehmen und wie es schien dauerhaften Fuß gesetzt hatte, als heute Nacht die Franzosen sich erfrechten auf das Hauptquartier Marienborn einen Ausfall zu thun und mir also das Schauspiel eines Überfalls und einer nächtlichen sehr lebhaften Affaire gewährt ward. Der Feind drang biß in das Dorf fast unangemeldet, es entstand ein lebhaftes Gefechte. Das Canonenfeuer von unsern Batterien, das Feuer des kleinen Gewehrs dauerte fast eine Stunde, mancher braver Kerl büßte sein Leben ein. Endlich drängte man sie nach der Stadt zurück. Es gelang ihnen nicht die brennlichen Materialien zu entzünden die sie mit gebracht hatten um das Dorf in Brand zu stecken. Es war ein Unternehmen das sie wie es scheint lange im Sinne führten, ohne genaue Beschreibung oder Zeichnung des Terrains läßt sich nichts umständliches sagen.

Des Herzogs Regiment hat den Major Laviere und . . Mann verlohren, die Absicht des Feindes[62] scheint gewesen zu seyn den General Kalckreuth, den Prinzen Louis Ferdinand und einige andre Generale auszuheben. Vielleicht auch nur das Dorf zu entzünden und die Leute zu necken. Es ist ein Coup der keine Folgen hat aber doch verdrieslich ist. Die Zeitungen werden mehr und weniger sagen.

Der Herzog ist abermals glücklich durchgekommen. Welche sonderbare Empfindung mir das war als ich wie es Tag wurde hinunter ritt und erwarten mußte, wen ich dort nun todt oder verwundet fände!

Ich dancke für den gütigen Brief für die Nachrichten und Erinnerungen.

Wegen Titels wird der Herzog selbst schreiben. Er will lieber das Geld noch einmal zahlen.

Er ist gar sehr von Ihren Briefen erbaut und von Ihrer Geschäftigkeit zufrieden. Zum Soldaten ist er gebohren und wenn man ihn in diesem Elemente sieht verdenckt mans ihm nicht daß er da gerne ist wo er sich fühlt.

Behalten Sie mich lieb und nehmen Sich der meinigen an wenn mir ein Unfall begegnen sollte.

Anstalten zur Belagerung sind für mich noch unsichtbar. Die Blocade kann sich sehr in die Länge ziehen. Die Situation der Franzosen in Absicht auf Terrain ist sehr vortheilhaft und ihre offensive Defension gefährlich.

G. [63]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1793. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-82D2-C