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An Carl Friedrich Zelter

Nach Abgang des Blattes am 3. May fahre sogleich fort. Da du deine Wohnung veränderst, so melde wohin du ziehst, damit man dich auf dem Berliner Plane, den meine Kinder gar oft produciren, auch wieder suchen und besuchen könne.

Ich glaube gerne, daß du in der bewegten Stadt sehr zerstreut wirst; alles macht Forderungen an den, der etwas vermag, und darüber zersplittert er sein Vermögen; doch verstehst du gar wohl dich wieder zusammenzuhalten.

Möge mein Divan dir immer empfohlen bleiben. Ich weiß was ich hineingelegt habe, welches auf mancherley Weise herauszuwickeln und zu nutzen ist.[26] Eberwein hat einige Lieder gesetzt, sage mir dein Urtheil darüber. Deine Compositionen fühle ich sogleich mit meinen Liedern identisch, die Musik nimmt nur, wie ein einströmendes Gas, den Luftballon mit in die Höhe. Bey andern Componisten muß ich erst aufmerken wie sie das Lied genommen, was sie daraus gemacht haben.

Unter den Eberweinischen hat das eine:

pp Jussufs Reize möcht ich borgen pp

mich und andere besonders angesprochen (wie sie es heißen). Die Frau trug sie recht gut, fließend und gefällig vor.

Indessen sammeln sich wieder neue Gedichte zum Divan. Diese mohamedanische Religion, Mythologie, Sitte geben Raum einer Poesie wie sie meinen Jahren ziemt. Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Überblick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erdetreibens, Liebe, Neigung zwischen zwey Welten schwebend, alles Reale geläutert, sich symbolisch auflösend. Was will der Großpapa weiter?

Wunderlich genug daß jener, von mir selbstaufgegebene und vergessene und vergessene Prometheus grade jetzt wieder auftaucht. Der bekannte Monolog, der in meinen Gedichten steht, sollte den dritten Act eröffnen. Du erinnerst dich wohl kaum, daß der gute Mendelssohn an den Folgen einer voreiligen Publication [27] desselben gestorben ist. Lasset ja das Manuscript nicht zu offenbar werden, damit es nicht im Druck erscheine. Es käme unserer revolutionären Jugend als Evangelium recht willkommen, und die hohen Commissionen zu Berlin und Mainz möchten zu meinen Jünglingsgrillen ein sträflich Gesicht machen. Merkwürdig ist es jedoch, daß dieses widerspenstige Feuer schon funfzig Jahre unter poetischer Asche fortglimmt, bis es zuletzt, real entzündliche Materialien ergreifend, in verderbliche Flammen auszubrechen droht.

Da wie aber einmal von alten, obgleich nicht veralteten Dingen sprechen, so will ich die Frage thun: ob du den Satyros, wie er in meinen Werken steht, mit Aufmerksamkeit gelesen hast? Er fällt mir ein, da er eben, ganz gleichzeitig mit diesem Prometheus, in der Erinnerung vor mir aufersteht, wie du gleich fühlen wirst, sobald du ihn mit Intention betrachtest. Ich enthalte mich aller Vergleichung; nur bemerke daß auch ein wichtiger Theil des Faust in diese Zeit fällt.

Nun zu der Witterung, als einem Haupterforderniß der Reise- und Badetage. Die obere austrocknende Luft hat gesiegt, alle Wolken sind verschwunden, der heutige Himmelfahrtstag ist ein wahres Himmelsfest.

Im Ganzen thut einen sehr angenehm-bemerkbaren Effect der, bey einem so hohen Sonnenstand, weit [28] zurückgehaltene Frühling. Es ist als wenn bey ihrem Erwachen die Bäume verwundert wären, sich schon so weit im Jahre zu befinden und von ihrer Seite noch so weit zurück zu seyn. Mit jedem Tage eröffnen sich neue Knospen und die eröffneten entwickeln sich weiter.

Sehr lieblich ist es daher gegen Sonnenuntergang die Prager Straße hinab zu gehen. Alle unbelaubten Bäume, bisher unbemerkbar, wenigstens unbemerkt, werden nach und nach sichtbar, wie sie ihre Blätter entfalten, und, von dem Sonnenlicht vom Rücken her beschienen, als völlig durchscheinend in ihrer eigenthümlichen Form dargestellt und kenntlich werden. Das Grün ist so jung, gilblich und völlig durchsichtig; an dem wachsenden Genuß kann man sich gewiß noch vierzehn Tage ergötzen. Denn selbst zu Pfingsten wird das erste Grün noch nicht völlig entwickelt seyn. Der Tag wächst, und so ist alles schön und gut. Möge das Schönste und Beste dir gegönnt seyn!

C. B. d. 11. May 1820.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7FEF-3