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An Johann Heinrich Meyer

Ihren Brief vom 13. Mai habe ich den 5. Juni erhalten, woraus ich sehe daß die Posten zwar noch nicht mit der alten Schnelligkeit, doch aber wieder ihren Gang gehen und das macht mir Muth Ihnen gleich wieder zu schreiben. Seitdem ich die Nachricht erhielt daß Sie sich nicht wohl befinden, bin ich unruhiger als jemals, denn ich kenne Ihre Natur, die sich kaum anders als in der vaterländischen Luft wieder herstellt. Sie haben indessen noch zwey Briefe von mir erhalten, einen vom 28. April und einen vom 8. Mai, No. 23 und 24, möchten Sie doch auf den letzten diejenige Entschließung ergriffen haben die zu Ihrem besten dient! Ihre Antwort, die ich nach dem jetzigen Lauf der Posten in Frankfurt gewiß finden kann, wird meine Wege leiten. Selbst mit vielem Vergnügen würde ich Sie in Ihrem Vaterland aufsuchen und an dem Zürcher See einige Zeit mit Ihnen verleben. Möge doch das Gute, das Ihnen aus unserm freundschaftlichen Verhältniß entspringen kann, Sie einigermaßen schadlos halten für die Leiden die Sie in der Zwischenzeit ausgestanden haben und die auch auf mich, in der Ferne, den unangenehmsten Einfluß hatten, denn noch niemals bin ich von einer solchen Ungewißheit hin und her gezerrt worden, noch niemals haben meine Plane und Einschließungen so von[141] Woche zu Woche variirt. Ich ward des besten Lebensgenusses unter Freunden und nahe Verbundnen nicht froh, indeß ich Sie einsam wußte und mir einen Weg nach dem andern abgeschnitten sah.

Nun mag denn Ihr nächster Brief entscheiden und ich will mich darein finden und ergeben was er auch ausspricht. Wo wir auch zusammenkommen, wird es eine unendliche Freude seyn. Die Ausbildung die uns indessen geworden ist wird sich durch Mittheilung auf das schönste vermehren.

Der Müllerische Brief, dessen Sie erwähnen, ist in den Horen nunmehr abgedruckt und zwar mit dem Nahmen des Verfassers, welches, wie Sie wissen, sonst nicht gebräuchlich ist; dadurch wird es also eine ganz individuelle Sache die sich mit der übrigen Masse des Journals nicht amalgamirt.

Es enthält dieser Aufsatz, wie ich wohl schon gesagt habe, gute, gründliche und treffende Stellen, doch ist der Styl im Ganzen ängstlich und schwerfällig und man sieht ihm einen gewissen düstern Parteygeist gar wohl an. Auch mag es dabey sein Bewenden haben und ich glaube Ihnen gern daß ein Umgang mit jenen so wenig moralisch als ästhetisch gereinigten Menschen von keinem sonderlichen Reize seyn möge.

Schiller lebt in seinem neuen Garten recht heiter und thätig, er hat zu seinem Wallenstein sehr große Vorarbeiten gemacht. Wenn die alten Dichter ganz[142] bekannte Mythen, und noch dazu theilweise, in ihren Dramen, vortrugen, so hat ein neurer Dichter, wie die Sachen stehen, immer den Nachtheil daß er erst die Exposition, die doch eigentlich nicht allein auf's Factum, sondern auf die ganze Breite der Existenz, und auf Stimmung geht, mit vortragen muß. Schiller hat deswegen einen sehr guten Gedanken gehabt daß er ein kleines Stück, die Wallensteiner, als Prolog vorausschickt, wo die Masse der Armee, gleichsam wie das Chor der Alten, sich mit Gewalt und Gewicht darstellt, weil am Ende des Hauptstückes doch alles darauf ankommt: daß die Masse nicht mehr bey ihm bleibt, sobald er die Formel des Diensts verändert. Es ist in einer viel pesantern, und also für die Kunst bedeutendern Manier, die Geschichte von Dumouriez. Höchst verlangend bin ich auch Ihre Ideen über das Darstellbare und Darzustellende zu vernehmen. Alles Glück eines Kunstwerks beruht auf dem prägnanten Stoffe den es darzustellen unternimmt. Nun ist der ewige Irrthum daß man bald etwas Bedeutendes, bald etwas Hübsches, Gutes und Gott weiß was alles, sich unterschiebt wenn man doch einmal was machen will und muß.

Wir haben auch in diesen Tagen Gelegenheit gehabt manches abzuhandeln über das was in irgend einer prosodischen Form geht und nicht geht. Es ist wirklich beynahe magisch daß etwas, was in dem[143] einen Sylbenmaße noch ganz gut und charakteristisch ist, in einem andern leer und unerträglich scheint. Doch eben so magisch sind ja die abwechselnden Tänze auf einer Redoute, wo Stimmung, Bewegung, und alles durch das Nachfolgende gleich aufgehoben wird.

Da nun meine ganze Operation von Ihrer Antwort auf meinen Brief vom 8. Mai, der nicht numerirt war, aber eigentlich Nr. 24 ist, abhängt, so will ich nicht wieder schreiben, als bis ich diese erhalten habe und Ihnen nachher gleich antworten wo ich bin und wie ich gehe. Sollten Sie auch auf diesen noch irgend etwas zu vermelden haben, so schicken Sie es nur auf Frankfurt an meine Mutter wo ich schon das weitere besorgen will.

Jena am 6. Juni 1797.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F42-7