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An Georg Sartorius

[Concept.]

[4. Februar.]

In diesem Augenblicke, mein theurer lieber Freund, bin ich sehr verdrießlich auf mich, daß ich Ihnen nicht [27] vor 6 Wochen geschrieben und zwar durch Veranlassung des vaterländischen Museums. Eine Abtheilung Ihres Werks das Sie gegenwärtig die Güte haben, mir ganz zu überschicken, fand ich darin zu meiner größten Freude. Es ist irgendwo gesagt daß die Weltgeschichte von Zeit zu Zeit umgeschrieben werden müsse, und wann war wohl eine Epoche, die dieß so nothwendig machte, als die gegenwärtige. Sie haben ein treffliches Beispiel gegeben, wie das zu leisten ist. Der Haß der Römer gegen den selbst milden Sieger, die Einbildung auf abgestorbene Vorzüge, der Wunsch eines anderen Zustandes ohne einen bessern im Auge zu haben, Hoffnungen ohne Grund, Unternehmungen auf gerathewohl, Verbindungen von denen kein Heil zu hoffen, und wie das unselige Gefolge solcher Zeiten nur immer heißen mag, das alles haben Sie trefflich geschildert und belegen uns daß alles wirklich in jenen Zeiten so ergangen. Sogleich werde ich nunmehr Ihr ganzes Werk lesen, sende aber diesen Brief fort, noch ehe ich es anfangen konnte.

Ihr und der Ihrigen Wohlseyn freut mich herzlich und was ich von dem günstigen Geschick Göttingens, seiner Anstalten und Bewohner höre, freut mich unsäglich, sowohl überhaupt als um Ihrentwillen. Mögen die mannigfaltigen neuen Illuminationen der geographischen Charten auf Sie keinen ungünstigen Einfluß haben.

Vorigen Sommer habe ich mich in Carlsbad ziemlich, [28] in Teplitz trefflich befunden. Ein zwölftätiger Aufenthalt in Dresden hat mir die Würde und Herrlichkeit alter und neuer Kunst wieder recht vor die Augen gebracht. Nach meiner Rückkehr haben wir eine italiänische Oper, Achille von Paer, mit großem Beyfall zu Stande gebracht. Brizzi von München sang die Hauptrolle, und die unsrigen begleiteten ihn musterhaft.

Doch haben wir in diesen Tagen noch einen größern theatralischen Triumph erworben, indem wir den standhaften Prinzen von Calderon nach Schlegels Übersetzung mit allgemeiner Theilnahme aufgeführt. Jedermann macht uns das Compliment daß es über alle Erwartung geraten, und niemand verhehlt seinen Unglauben, der er an dem Unglück unsers Unternehmens gehegt hatte.

Beym Theater kommt freylich alles auf eine frische unmittelbare Wirkung an. Man will nicht gern reflectiren denken, zugeben; sondern man will empfangen und genießen; daher ja auch oft geringere Stücke eine günstigere Aufnahme erleben, als die bessern; und zwar mit Recht. Dießmal aber haben wie ein Stück, das vor nahe 200 Jahren, unter ganz anderm Himmelsstriche für ein ganz anders gebildetes Volk geschrieben ward, so frisch wiedergegeben, als wenn es eben aus der Pfanne käme. Die Theilnahme aller Classen war dieselbe, und ich freue mich darüber gar höchlich, weil meine Mühe und Sorge, die ich [29] auf die Wiederholung eines Werks, das ich für höchst vortrefflich halte, seit ein paar Jahren gewendet habe, nunmehr reichlich belohnt sehe.

Von mir habe ich übrigens nicht viel zu sagen. Meine eigenen Sommerwanderungen haben die Wanderjahre Wilhelm Meisters verzögert; jetzt lasse ich an der Hackertschen Biographie drucken und mache mir den Spaß, an meiner eignen zu schreiben, bis ich beurtheilen kann, ob dieses Unternehmen zulässig ist.

Indem über meine Farbenlehre das altum Silentium im gelehrten Publicum fortgedauert; so erhalte ich in Privatbriefen sehr angenehme Zeugnisse von stiller Wirkung, besonders von Anregungen durch einzelne Stellen veranlaßt. Wir wollen das alles abwarten. Mein Hauptzweck war, mir selbst möglichst klar, und zuletzt die Sache los zu werden. Beydes habe ich er reicht und das weitere wird nicht ausbleiben. –

Nun leben Sie zum schönsten wohl, grüßen Sie mir die lieben Ihrigen und gedenken meiner.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Georg Sartorius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F2F-4