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An Christian Ernst Friedrich Weller

Übernehmen Sie, werthester Herr Doctor, gefällig nachfolgendes kleine Geschäft.

Alexander Netz, ein Knabe von vierzehn Jahren wohnhaft zu Jena, auf dem Steinwege bey seiner armen Mutter, meldete sich schon verschiedentlich bey dieser und jener Behörde, Zeichnungen vorweisend, welche, bey aller ihrer Unvollkommenheit, doch immer auf ein angebornes Talent hindeuten. Endlich gelangt sein Gesuch auch an mich; und ob ich gleich niemanden [197] bestimmen möchte, sich der bildenden Kunst zu widmen, weil sie schwer zu erlernen und noch schwerer ist, durch das Erlernte seinen Lebensunterhalt zu erwerben, so bin ich doch geneigt, mich versuchsweise nach diesem Knaben umzuthun.

Wollen Sie also sich zunächst erkundigen:

1) Um seine jetzige Lage.

2) Welchen Schulunterricht er genossen, und welche Zeugnisse er von seinem Lehrer erhält?

3) Wann er etwa confirmirt wird?

4) Was für ihn zunächst zu thun.

Freylich sind die Zeichen-Anstalten in Jena nicht sehr förderlich: Oehme ist alt, und Schenk möchte wohl schwerlich einen Schüler weiter bringen.

Da aber der Knabe sonstige Fähigkeiten zu haben scheint, auch schon eine hübsche Hand schreibt: so wünschte ich ihn am liebsten hierauf gerichtet zu sehen, nicht weniger auf Geometrie, welche denn doch zuletzt alles Nachbilden regeln muß; da er denn nebenher Köpfe, Figuren und wozu er sonst Lust hat, nachzeichnen mag. Wie gesagt, mein Werthester, unterrichten Sie sich zuerst von den Umständen: viel kann ich nicht thun, und das Wenige möchte ich wohl angewendet wissen.

Mündlich oder schriftlich Nachricht hierüber erwartend, wünsche wohl zu leben und meiner freundlich zu gedenken.

ergebenst

Weimar den 14. März 1829.

J. W. v. Goethe.


[198] Nachschrift.

So eben werd ich aufmerksam gemacht, daß Herr Rector Gräfe wohl der Mann sey, wenn er sich dieses Knabens annehmen möchte, den Bildungsgang desselben am besten zu reguliren und zu leiten.

Der Herr Rector hat, wie ich weiß, die Neigung, neben andern gewöhnlichen Schulbeschäftigungen auch die Schüler sich im Zeichnen üben zu lassen, und das wäre ja hier das Wünschenswerthe, wo man am ersten versichert seyn könnte, daß das Angewandte auch entschiedenen Nutzen bringe.

Überdenken Sie die Sache, mein werthester Herr Doctor, und geben mir zunächst Kenntniß von Ihren Untersuchungen.

Wie oben und immer

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Christian Ernst Friedrich Weller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7EB8-7