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An Anna Luise Karsch

[Offenbach, 17. – Frankfurt,

28. August 1775.]

Ich treibe mich auf dem Land herum, liebe Frau um das Leid und Freund was eben Gott iungen Herzen zu ihrem Theil geben hat, in freyer Luft zu genießen. Neulich lief ich einmal in die Stadt, und [281] Criesbach brachte mir Ihren Brief. Es machte mir herzliche Freude dass Sie Ihre Feder so an mich lauffen liesen, und nun für Ihre Grüse und Freundlichkeit meinen Danck. Ich wollte dass mir Ihre Tochter auch schrieb wie und wenns ihr einkömmt, denn kein Spiegel ist das der Eitelkeit, was ein Brief, der von wunderbaaren Verhältnissen gedrängten Seele, ist, wenn sie drinn gleiche Stimmung horcht, und müde des ewigen Solo, mit Freuden pausirt, und dem freundlichen Mitspieler neue Wonne ablauscht.

Schicken Sie mir doch auch manchmal was aus dem Stegreife, mir ist alles lieb und werth was treu und starck aus dem Herzen kommt, mag's übrigens aussehn wie ein Igel oder wie ein Amor. Geschrieben hab ich allerley gewissermaßen wenig und im Grunde nichts. Wir schöpfen den Schaum von dem grosen Strome der Menscheit mit unsern Kielen und bilden uns ein, wenigstens schwimmende Inseln gefangen zu haben. Von meiner Reise in die Schweiz hat die ganze Cirkulation meiner kleinen Individualität viel gewonnen. Vielleicht peitscht mich bald die unsichtbaare Geisel der Eumeniden wieder aus meinem Vaterland, wahrscheinlich nicht nordwärts, ob ich gleich gern Lot und seine Hausgenossen in euerm Sodom wohl einmal grüsen möchte. Addio. Offenbach am Mayn. d. 17. Aug.

Die Aufgabe von der Männer Schlappsinn unter gewissen Umständen, kann und darf ich heut [282] nicht erörtern. Die Ursachen liegen in dem Schreibtisch hier, dem Caffee Tisch dort, und der Figur dran im Neglichee, die mir den Rücken kehrt und ihr Frühstück schlürpft. – Heiliger Yorick, wolltest du aus deinen Himmeln herübersehen, und der guten Karschin die vernünftig herzliche Stimmung dieses Unsinns vorträumen denn du allein hättest Kopf und Herz dazu. – – – Nur eine klassische Stelle zur Erörterung: Les gens amoureux, sagt die superkluge Gemahlinn des unvergleichlichen Schah Bahams, ne dorment gueres, a moins qu'ils ne soi[en]t favorisés.

Biss den 28. Aug. ist dieses Brieflein liegen blieben. Nun noch einen guten Morgen und Adieu.

Franckurt.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1775. An Anna Luise Karsch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E25-F