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An Wilhelm von Humboldt

[Concept.]

Es war mir äußerst unangenehm Sie in Weimar verfehlt zu haben. Wenn man so lange auseinander gewesen ist gehört eine mündliche Unterhaltung dazu, um sich wechselsweise über die gegenwärtigen Zustände klar zu machen. Von Ihnen haben mir die hiesigen Freunde manches erzählt, aber mich nur um so begieriger gemacht auch an denen Schätzen, die Sie auf der Reise erbeutet, Theil zu nehmen, und die Hoffnung bald etwas davon zu lesen war mir um desto angenehmer.

Was mich betrifft so können Sie leicht denken, daß man in meinen Jahren nicht Leicht etwas neues angreift, und mein Wunsch darf nur seyn, nach einiger Zeit, bey einem freundschaftlichen Examen, dergestalt zu bestehen daß man mich nicht stationair finde.

Daß Sie Herrn Gentz bey mir einführen wollen dafür danke ich Ihnen bestens. So sehr ein Mann sich auch selbst empfiehlt, so sehr begünstigt die Empfehlung eines Freundes die ersten Augenblicke der Bekanntschaft.

Für die Portugiesische Schrift danke ich recht viel mals, ich kann damit so ziemlich zurechtkommen. Es ist sehr angenehm zu sehen, wie ein Gegenstand, der[290] uns interessirt, die Aufmerksamkeit so manches andern gleichfalls in Bewegung setzt. Dieser Freund begeht den Fehler dem viele, in derselben Materie, so wie den verwandten Fächern ausgesetzt waren; anstatt eine partiale Erscheinung recht zu entwickeln, fundirt er gleich eine Hypothese, einen theoretischen Ausspruch darauf. Anstatt ein merkwürdig Phänomen in Reihe und Glied zu stellen, will er mit demselben, als einer Zauberformel, das ganze Fach erobern.

Sagen Sie mir doch etwas Näheres von seinen Lebensumständen! Ich will mich doch in Göttingen ehestens nach jenen Übersetzungen erkundigen.

Tieck, den Sie ja selbst näher kennen, ist eine Zeit lang bey uns gewesen, als Künstler und Mensch erregt er lebhaftes Interesse. Er besitzt ein schönes Talent, das er treulich ausgebildet hat; nur leidet er gar zu sehr an den affectionibus juventutis, indem er sich ein äußerst heftig absprechendes Urtheil erlaubt, das denn doch oft eine große Beschränktheit andeutet. Dieses schadet ihm nicht allein innerlich, indem es ihn für guten, fördernden Rath unempfänglich macht, wie ich bey verschiedenen Gelegenheiten bemerken können, theils äußerlich, in Bezug auf die Gesellschaft, indem er sich, ganz ohne Noth und Zweck, Widersacher, Feinde und strenge Richter aufregt.

Können Sie hierin etwas auf ihn wirken, so werden Sie ein großes Verdienst um ihn haben; denn er ist, wie ich merke, zugleich sehr empfindlich [291] und mag nicht wohl vertragen, daß es aus dem Wald schalle, wie er hinein gerufen hat. Und freylich ist es eine ganz natürliche Folge, daß man demjenigen, der alle Menschen beurtheilt, als wenn sie unbedingt wirken könnten, wenn er selbst producirt, diejenigen Bedingungen auch nicht gelten läßt, welche ihn beschränken, sondern gleichfalls, bey Beurtheilung seiner, ein Absolutes zum Maßstab nimmt.

Herrn Doctor Grapengießer danken Sie schönstens und sagen mir, ob wir Hoffnung haben, Sie bald wieder zu sehen. Schreiben Sie mir von Zeit zu Zeit, damit wir uns nach und nach wieder eingewöhnen.

Ihrer lieben Dame den schönsten Gruß.

Weimar am 29. Nov. 1801.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1801. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B41-B