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An Johann Jacob und Marianne von Willemer

Wenn die theure Freundin versichern kann: sie sehe alle und jede Gegend, die sie jemals betrat, nach Belieben, jederzeit vor sich, so dürfen die Freunde wohl auch der Hoffnung leben, gelegentlich in die liebe Gegenwart herangerufen zu werden.

Hievon, und daß gewisse Angehörige auch auf unbekannten Wegen und Stegen unsichtbar zur Seite geblieben und die schnell Reisende zur Erinnerung angemahnt, gibt denn doch wohl die Kapsel voll Süßigkeit ein höchst gültiges Zeugniß, welche Gabe denn auch mit dem besten Dank gesellig genossen wird.

Wenn gleich etwas spät, doch immer noch lebhaft genug kann ich die Freunde nunmehr auf ihren Fahrten so hin als wieder zurück begleiten; beide Linien hab ich auch bereift, nur der Bogenweg, welcher sie jetzt zusammenbindet, war zu meiner Zeit völlig unwegsam und eine solche Vereinigung weder gedacht, noch zu denken.

[289] Nach erhaltenem freundlichen Bericht kann ich also nun schon eher die Fußtapfen der Theuren verfolgen, wobey es mir durch Neigung und Sehnsucht vollkommen erleichtert wird, frühere Eindrücke hervorzurufen und aus dem Bekannten mir das Unbekannte nachzubilden.

Merkwürdig war mir, daß noch eine ziemlich deutliche Skizze von der Via Mola und eine ausgeführtere eines Felsen im Höllenthal sich unter meinen Blättern findet; was mich aber bey dem Unternehmen, Ihrem Tagebuch auf der Charte zu folgen, einerseits belebte, andererseits verwirrte, war ein holdes Mährchen, welches unser Freund mir vor einiger Zeit vorspiegelte: als könne eine dergleichen Fahrt von vereinten Wohldenkenden unternommen, und auf dieser irdischen Erde eine Art von feenhaftem Reiseplan durchgeführt werden. Hierüber entstand eine solche Vermischung des wirklich Vollbrachten, des kaum zu Unternehmenden, des Wünschenswerthen, aber nicht zu Hoffenden, daß man besser that, alles zusammen aus dem Sinne zu schlagen und sich an's Allernächste zu halten.

Dieß ist nun für diejenigen, der, ohne der Mobilste zu seyn, sich doch bey eintretenden Sommertagen gern vom Platze bewegen möchte, höchst unerfreulich. Trockne Kälte wechselt ab mit der nässesten, unbewölkten Himmel kennt man fast gar nicht mehr, Regen folgt auf Regen und wirkt um desto unangenehmer, als augenblickliche heitere Zeiträume dazwischen [290] eine vergebene Hoffnung abwechselnd beleben. Auf diese Weise sind heute viel weißgekleidete, kranztragende, geschmückte Jungfrauen, die unsre, nach Preußen, von den besten Wünschen begleitete Prinzeß Auguste abschiedlich chorweise zu begrüßen ausgezogen waren, leider durchnäßt, entstellt und entmuthigt, einzeln wieder nach Hause zurückgekehrt.

Möge die von langher geliebte, immer schöne und, wie ich höre, immer verschönerte Mühle des Glücks genießen, wie das alte ägyptische Gosen, von diesem Unheil ausgenommen zu seyn. Was mich betrifft, so fürchte ich, die Freunde fühlen an dem gegenwärtigen Schreiben etwas, das einen halbpeinlichen Zustand ausdrückt. Wie sollt es aber anders seyn, wenn man auf zufällige unerwartete Weise der Aussicht beraubt wird, die man in's Auge zu fassen glaubte.

Jedoch durch das Andenken an die theuern Freunde, an ihr Glück und Behagen, fühl ich mich schon wieder hergestellt und schließe mit den heitersten Wünschen, in völliger Überzeugung, daß, wenn ich auch die Beweise ihres fortdauernden Wohlwollens nicht persönlich gegenwärtig mir zueignen kann, ich mich doch an denselben auch in der Ferne mit freudiger Sicherheit immerfort erquicken dürfe.

treu angehörig

Weimar den 12. Juni 1829.

J. W. v. Goethe.


Der Beylage Vergebung.
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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Johann Jacob und Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7947-2