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An Thomas Carlyle

Käme so oft ein Anklang zu Ihnen hinüber, als wir an Sie denken und von Ihnen sprechen: so würden Sie gar oft einen freundlichen Besuch bey sich empfinden, dem Sie am traulichen Feuer wohl gerne [301] Gehör geben, wenn Sie der Schnee zwischen Felsen und Matten einklemmt. Auch mir, obgleich zwischen kreuzenden Landstraßen gelegen, haben uns diesen Winter durch tiefen Schnee manchmal bedrängt gefunden.

Indem ich nun aber eine schriftliche Unterhaltung von meiner Fireside zu der Ihrigen wende, will ich damit anfangen, daß ich der lieben Dame Versicherung gebe: Ihr freundliches Schreiben sey uns, wie der Überbringer, sehr willkommen gewesen; er ist, wie er wohl schon gemeldet haben wird, freundlichst aufgenommen und alsobald in gute, sogar landsmännische Gesellschaft eingeführt worden. Uns war es dabey besonders ein angenehmes Gefühl, daß in der Folge jemand persönlich den weit entfernten Freunden zunächst von unsern Zuständen unmittelbare Nachricht geben würde. Desto schmerzlicher war uns das Ableben des guten Skinner, welcher, nach seiner Rückkehr, uns von den schottischen Freunden angenehme Nachricht gegeben hatte und bald darauf hier sein Grab finden mußte.

Von vielen und mannichfaltigen Obliegenheiten belastet, dictire Gegenwärtiges an einem stillen Abend, veranlaßt durch die vierte Lieferung meiner Werke, die ich, nach einiger Überlegung, zurückzuhalten und erst mit der folgenden zu senden Willens bin; denn es ist nichts Neues darin. Erhalten Sie solche später, so werden Sie vielleicht veranlaßt, das Ältere wieder [302] anzusehen und sich in Einem und dem Andern, nach dem inzwischen verlaufenen Zeitraume, wieder zu bespiegeln. Ich für meinen Theil finde darin eine besondere Prüfung meiner selbst, wenn ich ein vor geraumer Zeit gelesenes Werk wieder vor mich stelle oder vielmehr davon hintrete; da ich denn zu bemerken habe, daß es wohl an seinem Platze geblieben ist, daß ich aber dagegen eine andere Stellung angenommen habe, sie sey näher, ferner oder irgend von einer andern Seite.

Nun aber werden Sie freundlichst einem Wunsche nachsehen, den ich meinen entfernten Freunden vorzulegen pflege. Ich mag nämlich, wenn ich dieselben in Gedanken besuche, meine Einbildungskraft nicht gern in's Leere schwärmen lassen; ich erbitte mir daher eine Zeichnung, eine Skizze ihrer Wohnung und deren Umgebung. Dieses Ansinnen laß ich nunmehr auch an Sie gelangen.

So lange Sie in Edinburgh wohnten, traut ich mir nicht, Sie aufzusuchen; denn wie hätte ich hoffen können, in dieser über einander gethürmten, zwar oft abgebildeten, mir aber doch immer räthselhaften Stadt einen stillen Freund aufzusuchen; aber seit Ihrer Veränderung hab ich mir das Thal, worin [der Nith] fließt, und das an dessen linken Ufer liegende Dumfries möglichst vergegenwärtigt. Nach Ihrer Beschreibung vermuthe ich Ihre Wohnung auf dem rechten Ufer, da Sie denn freylich von den herandringenden[303] Granitklippen Ihres Osten ziemlich mögen eingeschränkt seyn. Bey die Beschauung der Specialcharten, wie ich sie erhalten konnte, durft ich mir wohl, als alt-erfahrner Geolog, einen allgemeinen Begriff von diesem Zustande machen, allein das Eigenthümliche läßt sich auf solche Weise nicht erreichen. Deshalb ersuch ich Sie um eine Zeichnung von Ihrer Wohnung mit ihrer Umgebung nach dem Gebirge zu, eine andere mit der Ansicht aus Ihren Fenstern nach dem Thal und Flusse, so wie nach Dumfries hin. Vielleicht zeichnen Sie selbst oder Ihre hochgebildete Gattin ein paar solche Blättern; vielleicht besucht Sie ein Bekannter, der die Gefälligkeit hat dergleichen zu entwerfen; denn es ist nur von einer Skizze die Rede, wozu das Talent, wie man sieht und weiß, in Britannien allgemein verbreitet ist.

Ihren Landsmann Bruns, der, wenn er noch lebte, nunmehr Ihr Nachbar seyn würde, kenn ich so weit, um ihn zu schätzen; die Erwähnung desselben in Ihrem Briefe veranlaßt mich, seine Gedichte wieder durchzulesen, welche freylich wie die Geschichte manches schönen Talents höchst unerfreulich ist.

Die poetische Gabe ist mit der Gabe, das Leben einzuleiten und irgend einen Zustande zu bestätigen, gar selten verbunden.

An seinen Gedichten hab ich einen freyen Geist erkannt, der den Augenblick kräftig anzufassen und ihm [304] zugleich eine heitere Seite abzugewinnen weiß. Leider konnt ich dieß nur von wenigen Stücken abzunehmen, denn der schottische Dialect macht uns andere sogleich irre, und zu einer Aufklärung über das Einzelne fehlt uns Zeit und Gelegenheit.

Vorstehendes liegt mit mehrern andern Blättern, werthesten Freunden zugedacht, unter meinen Expediendis, kommt aber spät zur Absendung; dießmal meldet's ein Kästchen an, welches mit der vierten und fünften Lieferung meiner Werke zunächst an Sie abgeht. Möge Gegenwärtiges, so wie das Nachkommende, Sie und Ihre theure Gattin in gutem Zustande antreffen und Sie uns bald hievon Nachricht geben. Alles grüßt, meine Frauenzimmer legen jener Sendung etwas Heiteres bey.

treu gedenckend

Weimar den 25. Juni 1829.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Thomas Carlyle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7871-A