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An Adele Schopenhauer

Ihre Sendung, theuerste Freundin, war so ausgesucht interessant, daß ich eile, IHnen dafür den schönsten Dank zu sagen.

Ihre allerliebste ländliche Wohnung wird, den Rhein im Zwischengrunde gedacht, Ihren Freunden höchst anmuthig. Sagen Sie mir, wer ist die geschickte Hand, die uns Entfernen eine solche Umgebung vor die Augen bringen konnte? Empfehlen Sie mich Ihrer[77] lieben Frau Mutter und [ver]bringen, wenn die immer lebendige Vegetation sich wieder hervorthut, heitere tage in so glücklicher Umgebung.

Daß Sie mir ein gewiß seltenes Werk, auf die Geschichte und den ehemaligen Zustand der heiligen drey Königsreste bezüglich, verschaffen und verehren wollen, hab ich vorzüglichst anzuerkennen. Hier sind, das Übrige alles nicht erwähnt, 226 geschnittene Steine hinreichend gut abgebildet; Schwefelabgüsse davon besitz ich 156 Stück, welche ich also mit den Abbildungen genau vergleichen kann. Vielleicht gelingt es Ihnen, einzelne Abgüsse, die gewiß in Cöln noch hie und da umherschweben, tz erlangen, so geschähe mir durch das Geringste ein besonderer Gefalle. Besonders aber, wenn von den beiden großen Steinen Nr. 121 und 155, welche von besonderer Bedeutung und leider in meiner Sammlung zerbrochen sind, vielleicht eine Wiederholung gefunden würde.

Unser August ist nicht wieder gekommen. Wenn Geist und Charakter der Hinterbliebenen, wie man fordert, solchen Fällen gewachsen seyn sollen, so muß der Körper sich dabey ganz natürlich betragen und bey einer sittlichen Krise zu seiner Erhaltung eine physische erfolgen lassen. und so war ich denn, meine Gute, dem äußern Anschein nach, schon mit den Fußzehen erfolgen lassen. Und so war ich denn, meine Gute, dem öuüern Anschein nach, schon mit den Fußzehen im Flusse des Vergessens, sollte aber dießmal doch die Barke nicht erreichen. Hierauf denn bleibt mir nichts übrig, als von vorn anzufangen und die[78] mißliche Rolle eins deutschen Hausvaters zu spielen; zwar, wie ich dankbar anerkennen muß, unter den günstigen äußeren Umständen.

Entschuldigen Sie mich ja bey Herrn Goldfuß, dergleichen Gedächtniß-Verirrungen und Verwechselungen kommen wohl einmal vor; Wohlwollende werden sie verzeihen. Sehr angenehm war mir's, eine kleine Schrift, die ich schon durch unsern Präsidenten erhalten hatte, bey diesem Anlaß nochmals zu vergnüglicher Belehrung durchzulesen.

Eben als ich schließen will, stockt mir die Rede. Ich kann nicht ausdrucken, wie mich das Hinscheiden unsres Niebuhrs angegriffen hat. Eben wollt ich Ihnen die freundlichsten Grüße an deselben auftragen. Vor drey Wochen erhielt ich einen treuen, verständig-wohlwollenden, belehrenden Brief von ihm und habe mich tagtäglich mit dem zweyten Theil römischer Geschichte neuster Ausgabe beschöftigt und, in anhaltendem geistigen Gespräch mit ihm, einen Brief, den ich an ihn senden wollte, vorbereitet. Nun muß ich das für mich allein durcharbeiten, und das ist eine leidige Zugabe, die mir eben jetzt sehr ungelegen kommt.

Möge es unter uns noch lange

beym alten bleiben

Weimar den 10. Januar 1831.

J. W. v. Goethe. [79]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Adele Schopenhauer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7865-6