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An Carl Ludwig von Knebel
Du hast mir, mein alter würdiger Freund, soviel Gutes und längst Geschätztes durch deine Sendung wieder zu Sinn gerufen, wofür ich nicht genug danken kann. Der Aufsatz über das Leben und die Weisheit des Epikur ist anmuthig überzeugend, die Betrachtung [251] gründlich und die Zeugnisse der Vorfahren am rechten Orte.
Ich hatte einmal früher unternommen Lukrezen als Römer in seinen Tagen, 60 Jahre vor Christo, in Betracht zu ziehen, ihn gegen die wilde Zeit und seinen unruhigen Freund Memmius hinzustellen und möglichst anschaulich zu machen, wie er sich, dem Geist und den Umständen nach, in die Epikurische Philosophie so entschieden flüchten mußte. Mit aller Bemühung aber hätte man doch nur wenige Data zusammengebracht, das Meiste hätte man dazu pragmatisiren, oder, wenn du willst, dichten müssen und so ließ ich die Vorarbeit liegen und überzeuge mich um desto mehr, daß der Weg, den du eingeschlagen hast, der rechte sey.
Der große Werth des Gedichtes, als ausgeführte Zusammenfassung der ganzen Lehre, tritt meines Bedünkens in der neusten Zeit erst recht hervor, nachdem uns von Epikur selbst verfaßte Stellen aus den pompejanischen Grüsten mitgetheilt worden. Sie sind unerfreulich zu lesen, man muß sie erst aus Lukrezens Gedicht gleichsam erklären. Haben doch die Alten selbst, die um so viel näher standen, seinem Styl nichts abgewinnen gewußt. Es ist also sehr wohlgethan, was die Lehre betrifft, sich an das Gedicht zu halten und sein Leben auf die Weise, wie du es gethan, in seiner naiven Reinlichkeit darzustellen. Eine neue Ausgabe deiner so schätzenswerthen Übersetzung [252] kommt übrigens wohl zur rechten Zeit, da die Franzosen selbst, gründlich und umsichtig, mit der Philosophie der Alten in den neusten Tagen sich zu benehmen anfangen und ihr manche eigene Ansicht abzugewinnen suchen.
Fahre fort im möglichsten Wohlbefinden diese nächsten Tage dem Frühling entgegen zu dulden, dabey mein aufrichtiger Wunsch ist, dir und den Deinigen möge jetzt und künftig das Wünschenswertheste zum Antheil gelangen.
treulichst
J. W. v. Goethe.