[6] 1765

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An Cornelie Goethe

Liebe Schwester.

Damit du nicht glaubest ich habe dich unter den schwärmenden Freuden eines starck besuchten Bades gantz vergessen; so will ich dir, einige absonderliche Schicksaale die mir begegnet, in diesem Briefgen, zu wissen thun. Dencke nur wir haben allhier Schlangen, das hässliche Ungeziefer macht den Garten, hinter unserm Hause, gantz unsicher. Seit meinem Hierseyn, sind schon 4. erlegt worden. Und heute, lass es dir erzählen, heute morgen, stehen einige Churgäste und ich auf einer Terasse, siehe da kommt ein solches Thier mit vielen gewölbten Gängen durch das Graß daher, [6] schaut uns mit hellen funckelnden Augen an spielt mit seiner spitzigen Zunge und schleicht mit aufgegehabenem Haupte immer näher. Wir erwischten hierauf die ersten besten Steine warfen auf sie loß und traffen sie etliche mahl, daß sie mit Zischen die Flucht nahm. Ich sprang herunter, riß einen mächtigen Stein von der Mauer und warf ihr ihn nach. er traf und erdruckte sie, worauf wir über dieselbe Meister wurden sie aufhängeten und zwey Ellen lang befanden. Neulich verwirrten wir uns in dem Walde, und mußten 2 Stundenlang in selbigem, durch Hecken und Büsche durchkriechen. Bald stellte sich uns ein umschatteter Fels dar, bald ein düstres Gesträuch und nirgends war ein Ausgang zu finden. Gewiß wir wären biß in die Nacht gelaufen; wenn nicht eine wohlthätige Fee hier und da, an die Baüme Papagey Schwäntze, |: die aber unsere kurtzsichtige Augen für Strohwische ansahen :| den rechten Weeg uns zu zeigen gebunden hätte. Da wir denn glücklich aus dem Walde kamen. Dein Briefgen vom 19 Juni war mir sehr angenehm. Inliegenden Brief laß Augenblicklich dem Pap zustellen. Lebe wohl. Küsse If. M. von meinetwegen die Hand.

Wisb. d. 21. Jun. 1765.

G. [7]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1765. An Cornelie Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-751E-D