6/1603.

An Johann Heinrich Merck

Das Bild ist glücklich angelangt, nur daß die Papiere, die zwischen Rahmen und Kasten staken, nicht gut befestigt waren. Eins hat sich los gemacht und an der Stirne ein wenig den Firniß weggescheuert. Es hat großen Beyfall erhalten und die Herzogin hat es ihrem Gemahl verehrt und du sollst das Geld nächstens ohne Abzug erhalten. Du kannst mir immer ein paar Pfund schwarze Kreide in den Kauf geben, die ich durch den nächsten Postwagen zu überschicken bitte.

Deine Knochenuntersuchungen haben mir viel Vergnügen gemacht. Sey doch so gut und schreibe mir etwas von Campers Incognito und schicke mir überhaupt seine Briefe; du sollst sie gleich wieder haben. Ich weiß meine Osteologie auf den Fingern auswendig [75] herzusagen und bey jedem Thierskelet die Theile nach den Nahmen, welche man den menschlichen beigelegt hat, sogleich zu finden und zu vergleichen. Es macht mir ein großes Vergnügen und du wirst wohl thun, mich manchmal damit zu unterhalten. Alle die Knochentrümmer, von denen du sprichst und die in dem obern Sande des Erdreichs überall gefunden werden, sind, wie ich völlig überzeugt bin, aus der neusten Epoche, welche aber doch gegen unsere gewöhnliche Zeitrechnung ungeheuer alt ist. In dieser war das Meer schon zurückgetreten, hingegen floßen die Ströme noch in großer Breite, doch verhältnißmäßig zum Niveau des Meeres, nicht schneller und vielleicht nicht einmal so schnell als jetzt. Zu derselbigen Zeit setzte sich der Sand mit Leimen gemischt in allen breiten Thälern nieder, die nach und nach, als das Meer sank, von dem Wasser verlassen wurden und die Flüsse sich in ihrer Mitte nur geringe Beete gruben. Zu jener Zeit waren die Elephanten und Rhinozeroße auf den entblösten Bergen bey uns zu Hauße und ihre Reste konnten gar leicht durch die Waldströme in jene große Stromthäler oder Seeflächen herunter gespült werden, wo sie mehr oder weniger mit dem Steinsaft durchdrungen sich erhielten und wo wir sie nun mit dem Pfluge oder durch andere Zufälle ausgraben. In diesem Sinne sagte ich vorher, man finde sie in dem oberen Sande, nemlich in dem, der durch die alten Flüße zusammengespült [76] worden, da schon die Hauptrinde des Erdbodens völlig gebildet war. Es wird nun bald die Zeit kommen, wo man Zersteinerungen nicht mehr durch einander werfen, sondern verhältnißmäßig zu den Epochen der Welt rangiren wird.

Ich habe gehört, daß man in einem Marmorbruche bey Altdorf den versteinerten Kopf eines Alligators gefunden habe, welches mir ein sehr merkwürdiges Phänomen ist, weil ich nur Schaalenthiere in den Marmorn kenne und ich nicht weiß, ob man in dem eigentlichen Marmor Fische oder was noch mehr ist, Amphibien bisher gefunden hat. Es kommt auf eine Zeichnung und auf ein Musterstück der Steinart an.

Ich habe einen Brief von Lavatern über den Albrecht Dürer, der mir schreibt, er möchte über so ein Gesichte und über so ein Werk ein ganzes Buch schreiben. Oeser ist auch sehr entzückt davon, er sagt er habe mehr als 100 Stücke von diesem Meister gesehen und dies sey nur das zweyte von solchem Werthe. An dem Harnische erkenne man Albrecht Dürern, im Gesicht habe er sich selbst übertroffen. Doch giebt er einem Gedanken Beyfall, den ich gleich hatte, als ich das Bild ansah. Es ist nehmlich größer gewesen, ein Brust- oder Kniestück, ein Theil davon durch die Zeit verunglückt und so zusammengeschnitten worden. Dies nimmt dem was noch übrig ist, nichts von seinem Werthe. Für die übrigen Nachrichten deines[77] Briefes danke ich und werde sie zu seiner Zeit benutzen. Lebe wohl und laß wieder bald etwas von dir hören.

Weimar den 27. Okt. 1782.

G.


Höpfner hat mir geschrieben und ich schreibe ihm heute selbst, weil es doch zur Sprache kommen muß.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Johann Heinrich Merck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-738B-3