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An Ernst Heinrich Friedrich Meyer

Ew. Wohlgeboren

haben mich durch ein sorgfältig geschriebens Werk in den kalten Regionen vor einiger Zeit mehr, als mir war fest jedoch dank ich bestens für die mir dadurch gewordene bedeutende Umsicht und gründliche Belehrung.

Das längst unternommene und, traurig genug, verzögerte Heftlein kommt endlich auch sich Ihnen Mittheilungen gemacht, Ihnen nicht zuwider seyn.

[250] Daß ich nahe Ende meiner Laufbahn noch von dem Strudel der Spiraltendenz ergriffen werden sollte, war auch ein wunderlich Geschickt.

Ich habe hier, in der dritten Beylage, nur der Gipfel der Aussichten anzudeuten gesucht, aber indessen sehr viele und angenehme Phänomene gesammelt, die, einigermaßen zusammengestellt, auf das Weitere hindeuten mögen. Die Entfernung, die uns trennt, hindert leider an einem lebhafteren Zusammenwirken; ohnerachtet bleiben Sie überzeugt, daß ich Ihre Gesinnungen in den Hauptpuncten anzuerkennen und zu schätzen weiß und in dem, was ich vornehme und unternehme, auch gerne hoffen mag, daß es Ihnen genehm seyn werde.

Gegenwärtiges erlasse auf Puncte des längsten Tages, wo wir erst des Sommers gewahr werden, der nun schon wieder von uns Abschied zu nehmen scheint. Ich fürchte, daß die feuchte unfreundliche Witterung Ihnen noch schädlicher widerwärtiger gewesen ist als uns; mögen Sie mir davon ein Wort sagen. Doch will ich nicht schließe, ohne etwas Botanisch- Erfreuliches zu melden:

Das Heracleum speciosum , giganteum, oder wie man es heißen will, gebürtig vom Kaukasus, woher es uns zugekommen (auch wohl an den Pyrenäen und im südlichen Frankreich zu finden) ist dieß Jahr in meinem Garten zu einer Kraft, Pracht und Herrlichkeit gediehen, die jedermann erstaunen macht. Uns [251] andern gibt's eine unmittelbare neuauffallende Überzeugung: daß der Wurzelblätter, welcher sechs Fuß acht Zoll hat, am aufsteigenden Stengel sich zusammenzuziehn genöthigt wird und zuletzt, als eine gleichsam bedeutende Hülle, zur Legitimation, daß er wirklich der identische sey, Analogon von Blätterspitze kümmerlich nachweist. Der gleichen mag bey Umbellen öfters vorkommen, wird aber bey diesem Flügelmann recht augenfällig bemerkt. Von der Blüthe red ich nicht, zu deren eigentlicher Dolde die oberen Augenzweige blühend emporstreben, zu Schirm in seiner Peripherie gleichsam zu erweitern.

Diese Pflanze, die eigentlich schon vor'm Jahr hätte blühen sollen, war zurückgeblieben und hatte sich vergangenen Winter wahrscheinlich so fundirt, um nun als Wunder zu erscheinen. Die vorjährigen waren auch schon ansehnlich und mächtig genug, doch überbietet die gegenwärtige alle jene. Melden Sie mir gefällig, wie diese Pflanze, welche Sie gewiß auch, da sie keine Rarität ist, besitzen, sich dieses Jahr bey Ihnen erwisen hat.

Und so möge denn eine so seltene, obgleich im Geiste nicht unterbrochene Unterhaltung für den Augenblick wieder angeknüpft seyn.

Und so fortan!

Weimar den 21. Juni 1831.

J. W. v. Goethe.

Das Heft erfolgt mit der Fahrenden.
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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Ernst Heinrich Friedrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-715B-1