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An Carl Friedrich Zelter

Dießmal, mein Theuerster, dächt ich, könnten wir mit unsrer Zusammenkunft zufrieden seyn; du hast gegeben und empfangen, wir sind unsrer alten Bezüge auf's neue gewiß geworden und werden nur desto freudiger das was beiden wohlthut auswechseln.

Und so dank ich zuvörderst für dein Brieflein von Jena, das, mit ungewohnt spitzer Feder geschrieben, die Epoche deiner Reisefahrt in dem Codex ganz genau bezeichnen wird.

Unsres werthen Schultz Gegenwart hatte auch einen ganz eignen guten Eindruck hinterlassen; indem ich mich umsah nach den Gegenden, wo sein Interesse ihn festhielt, hab ich auch für mich Merkwürdiges angetroffen. Vorzügliche Menschen gab es immer, die uns denn auch mitunter glückliche Spuren ihres Daseyns hinterließen.

[36] Ich schiebe immer den Tag vor mir her, wie es denn am Ende jeder thut, wenn er seinen Caffee getrunken hat. Leider gewinnt man weiter nichts dabey als die Überzeugung daß noch immer genug zu thun übrig bleibt.

Die colossale Marmorbürste von Davis Hand ist angekommen und gibt viel zu reden. Ich verhalte mich ganz ruhig; denn ich habe in und mit dem kleinen Format schon genug zu thun, als daß ich begreifen könnte wie sich eine doppelt und dreyfach vergrößerte Form benehmen könnte. Indessen ist es trefflich gearbeitet, außerordentlich natürlich, wahr und übereinstimmend in seinen Theilen. Der Marmor aus den Pyrenäen, den die Französischen Bildhauer jetzt brauchen müssen, weil auf dem carrarischen ein schwerer Zoll liegt, hat einen sehr angenehmen Ton der in's Bräunliche zieht.

Überdieß bin ich über Berlin mit den Pariser Naturforschern neuerlich in Berührung gekommen, welches mich denn doch auf einen gewissen Grad beschäftigt und zu Mittheilungen nöthigt. Dabey muß ich gedenken daß doch manches hier vorzuzeigen versäumt worden, weil es etwas zur Seite lag.

Aus unsern Kiesbrüchen, die zum Wegbau stark benutzt werden, hab ich neuerlich Elephanten-Backzähne von der größten Schönheit erhalten. Denke dir! die Oberfläche welche kaut hat Wurzeln, die aber auch wieder nachschieben und entweder gleichfalls kauen oder auch wohl ewig ungebraucht bleiben können.

[37] Die Natur thut nichts umsonst, ist ein altes Philister-Wort. Sie wirkt ewig lebendig, überflüssig und verschwenderisch, damit das Unendliche immerfort gegenwärtig sey, weil nichts verharren kann.

Damit glaube ich sogar mich der Hegelischen Philosophie zu nähern, welche mich übrigens anzieht und abstößt; der Genius möge uns allen gnädigen seyn.

Da das Königliche Theater den rechten Weg gefunden hat seine Casse zu füllen, so send ich dir den letzten Gegensatz, wohin nur die guten Nachkommen des alten Thespis gerathen können. Das Original lege bey, man glaubt es sonst nichts; sende es aber wieder zurück.

»Theaterankündigung. Carlstadt, am 10. Juli 1823. Zum Vortheil des Herrn Ignaz Viol und seiner Tochter Ludmille:

Menschenhaß und Reue,

ein hier noch nie gesehenes Trauerspiel von dem gefallenen Kotzebue, unglücklicher weise; dasselbe ist in 6 Acten, nebst einem Prolog, welchen Herr Viol am Ende separat halten wird.«

»Nachschrift: Viele dringende Schulden setzen uns zwar in die angenehme Verlegenheit unserer Gläubiger, daß wir nicht weiter reisen können. Ich spiele den Greis; meine Ludmilla die Eulalia; lassen Sie uns deshalb nicht untergehen; Menschenhaß kennen die Bewohner dieser Stadt nicht, noch weniger wir eine Reue, daß wir hierher uns verirrten. Wir bitten daher um Zuspruch, denn es bleibt uns doch nichts.«

[38] Uns aber bleibe das Bisherige von guten Geistern gegönnt. Also sey es

W. d. 13. Aug. 1831.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6FF7-0