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An Carl Ludwig von Knebel

Carlsbad d. 12. Juny 1810.

Es ist freylich ein großer Unterschied seit den vorigen Monaten, da ich alle Morgen deine Fenster anrief und so manchen schönen Abend bey die zubrachte, daß ich jetzt so lange nichts von mir hören ließ und dich erst später begrüße. Ich befinde mich sehr wohl, ob uns gleich das Wetter nicht sonderlich begünstigt. Ihr habt auch Kälte und manches andere Unerfreuliche gehabt, wie ich höre. Dagegen ist die Gesellschaft schon sehr glänzend und angenehm. Die Gegenwart der Kaiserin und der Sächsischen Herrschaften bringt viel Leben und Bewegung hierher. Sie sehen Niemanden bey sich, sind aber auf eine Weise genirt. Auf ausdrückliche Anordnung und Befehl erscheint Jedermann in seiner gewohnten Tracht. In dem Sale, wo sich die Herrschaften befinden, stehen Spieltische für die Cavaliere, und die jungen Personen spielen im Vorsal kleine Spiele und so, weil es Jedermann behaglich ist, vermehrt sich die Menge täglich, um so mehr als täglich neue Gäste ankommen.

[328] Die Intervalle schöner Tage und Stunden, die sich zwischen den rauhen und regnerischen zeigen, habe ich benutzt, um mich in der Nähe wieder umzusehen. Die neue Chaussée, die oberhalb Carlsbad weg, am Fuß des Drey-Kreuzberges, über den Galgenberg in vielen Zickzacks nach der Töpel herunter geführt wird, fordert wieder zu neuen Promenaden auf, und wird, wenn sie einmal fertig ist, die größte Zierde von Carlsbad seyn.

Viele alte Bekanntschaften habe ich erneuert und einige neue, ganz angenehme, gemacht. So eben vernehme ich, daß Jena auch durch die Gegenwart Ihro Hoheit, der Großfürstin, belebt ist. Ich wünsche den besten Erfolg dieses Aufenthalts, Empfiehl mich ja zu Gnaden und bringe mich bey allen Freunden und Gönnern ins Andenken.

Auch in Weimar laß mich aufs beste empfohlen seyn.

Prinz Bernhard ist seit einigen Tagen hier. Gegenwärtiges erhältst du durch die Gelegenheit seiner Rückkehr.

Graf Razoumowsky, gegenwärtig hier, hat schöne geschnittene Steine; auch einige andere Gäste manches Beneidenswerthe. Von diesem portativen Genre von Kunstwerken kriegt man allenfalls noch etwas zu sehen. Herr von Rühle hat schöne Mosaiken bey sich. Vielleicht kann er dir sie zeigen, wenn er durch Jena geht, wo der Prinz Bernhard sich doch aufhalten wird.

Über den ehernen Stier, den ich dir verdanke, habe[329] ich eine eigene Hypothese ausgebildet. Ich halte nämlich dafür, daß es Jupiter in dieser Gestalt sey, der Europen trägt, oder vielmehr trug, da leider diese Schönheit verloren gegangen ist. Das Majestätische und Pferdehafte klärt sich dadurch am besten auf; zu den äußeren Kennzeichen scheint mir eine auf dem Rücken befindliche, nunmehr aber zugelöthete Öffnung zu gehören. Denn daß dieses edle Geschöpf einigemal restaurirt worden und jetzt wieder in einem zerstückten Zustand gerathen, ist evident.

Wir wollen es gelegentlich zusammen untersuchen. Könnt' ich dir oder Carln etwas von den Carlsbader Producten wünschenswerthes mitbringen, so wird es mich freuen. Gieb mir einen Anlaß dazu und lebe recht wohl.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6FC2-8