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An Johann Wilhelm Ritter

[Concept.]

Indem ich das Gilbertische Journal mit Dank zurückschicke, füge ich einige Bemerkungen hinzu:

Wie unzulänglich, ja wie hinderlich die Newtonische Theorie, ich will nicht sagen zur Erklärung, sondern nur zur Auf- und Darstellung der Phänomene sey, ist in diesem Falle einem jeden wieder recht einleuchtend, der sich eines bessern belehrt hat.

Dem wackeren Herschel ist das Absurde der Enunciation selbst aufgefallen ( pag. 138) und freylich ist es absurd das reine, sich immer selbst gleiche Licht, aus so widersprechenden Theilen zusammen zu setzen, da es doch eigentlich nur durch äußere Bedingungen in den Fall gesetzt wird, ohne die mindeste Veränderung seiner selbst, jene bekannten Erscheinungen hervor zu bringen.

Höchst merkwürdig bleibt es wie, auch diesmal wieder, ein so scharfsichtiger und scharfsinniger Mann diesen Gegenstand vornimmt, ohne die unauflöslichen Widersprüche zu fühlen, in welche die Hypothese verwickelt. Wenn er sich pag. 142 die verschiednen Stufen der Erleuchtung seiner farbigen Lichter vorzählt; so findet er das einzige Gelb und das nächste Grün eigentlich erleuchtend, (beydes aber gewiß nicht so gut als das ungefärbte Licht) die übrigen Farben [189] leisten immer weniger, so daß man eher von der verdunkelnden, als der erleuchtenden Kraft des gefärbten Lichtes sprechen könnte, und aus diesen Finsternissen soll das Licht zusammengesetzt seyn!

Wenn Herschel durch farbige Gläser die Sonne betrachtet und sie zuletzt gar mit solchen die mit Rauch angelaufen sind in Parallele stellt, so fällt ihm nicht ein, daß doch wohl die Farbe durchaus gegen das Licht als ein Minus anzusehen seyn müsse, sondern immerfort soll das Helle aus Dunkeln zusammengesetzt seyn. Es wäre kein Wunder wenn man den Ruß zuletzt auch unter die integranten Theile des Lichts zählte.

Auch an der Kupfer Tafel sieht man daß, nach dem alten Schlendrian, die Öffnung, durch die man das Licht einließ, so niedrig als möglich gemacht worden. Die spitzen Winkel der punctirten Linien, welche die Divergenz der Farbenerscheinung vorstellen sollen, stehen auf der Mitte des Prismas, eben als wenn hier nur ein untheilbarer Sonnenstrahl hereinkäme und gebrochen würde. Woraus man sieht daß Herschel, so gut als tausend andere, das Spectrum und die daraus abgeleitete Hypothese auf Treu und Glauben angenommen.

Vielleicht wäre es Zeit, da doch jetzt alle Physiker um diese Versuche zu wiederholen das Prisma zur Hand nehmen müssen, die Streitfragen wieder in Anregung zu bringen.

[190] Ich trage die Herschelischen Erfahrungen, bezüglich auf beyliegende Tafel, nach unserer Weise kürzlich vor und füge einige Fragen und Vorschläge hinzu.

Das Sonnenlicht a fällt in eine dunkle Kammer. Man messe die Wärme des Raums a. b. durch ein Thermometer 1.

Das Licht wird durch das Prisma c gebrochen und geht nur an den Rändern gefärbt heraus. Man messe die Wärme des farblosen Raums hinter dem Prisma durch ein Thermometer 2.

Es fragt sich: hat das Sonnenlicht durch die Brechung an Wärme gewonnen oder verloren?

Das im spitzen Winkel, oben und unten, auf den Rändern des Prismas, aufstehende Phänomen verbreitet sich und zeigt die beyden einfachen Farben Gelb und Blau, nach innen, mit ihren Steigerungen ins Rothe nach außen, deutlich.

Endlich treffen die inneren Farben, Blau und Gelb, zusammen und bilden das Grün.

Auf dieser Stufe, des nunmehr völlig farbigen Spectri, hat Herschel seine Versuche unternommen, welche aber, auf unsere Weise dargestellt, ein anderes Ansehen gewinnen.

Er vergleicht die Wärme seines gefärbten Lichtes nur mit der Wärme der dunklen Kammer, wir hingegen nahmen das Phänomen früher und untersuchten die Wärme des gebrochnen, nicht gefärbten Lichtes.

[191] Nun fragen wir: wird das Thermometer 3 aus der + Seite der Farben-Erscheinung gegen das Thermometer 2 steigen oder fallen? Ich vermuthe das letzte. Die Erfahrung mag den Ausspruch thun.

Man führe alsdann das Thermometer ins Grüne bey No 8 und endlich ins Violette bey No 4, so wird nach Herschelischen Erfahrungen das Thermometer immer weiter herabsinken und sich dem Thermometer 7 in der dunkeln Kammer nähern.

Nun wäre noch die sich über die Grenzen des Roths hinaus erstreckende Wärme auf das Thermometer 6 zu untersuchen, wobey ich vor allen Dingen rathen wollte zu erforschen: ob nicht etwa der erleuchtete und erwärmte Raum a. b. nach der Seite zu auf das Thermometer 5 einige Wärme verbreitet? so daß solches höher stünde als eines in 7 oder sonst einem Orte der dunklen Kammer.

Was die Art die Versuche anzustellen betrifft bemerke ich folgendes:

Beyliegende Zeichnung ist als ein Grundriß anzusehen. Anstatt nämlich daß Herschel die Axe des Prisma horizontal stellt, stelle man sie vertikal und werfe das lichte Bild nach der Seite, wodurch man den Vortheil hat, daß man die Thermometer von oben herein, ganz frey, in den farblosen Raum sowohl als in die farbigen Räume bringen kann, wozu der Apparat nicht schwer seyn wird.

Ich rathe zu dieser Anstalt weil die Nähe der [192] Holztafel, bey dem Herschelschen Versuche, mir verdächtig ist, indem dieselbe, von dem rothgefärbten Lichte erwärmt, die Wärme wohl weiter verbreiten kann, als sie der gefärbte Lichtrand selbst nicht verbreiten würde.

Fängt man das gefärbte Bild hinten mit einer Tafel auf, so kann man am Schatten der Thermometerkugel sehen ob man sich in der rechten Farbe befindet.

Auf beyliegender Tafel habe ich auch, in der dritten Figur, die Erscheinung nach der Schattenseite gezeichnet.

Es wäre wohl interessant auch die Wärme des Purpurs zu untersuchen; allein die Vorrichtung dazu würde einige Schwierigkeiten haben. Davon mündlich mehr.

Damit die Tafel auch zur deutlichen Darstellung der Controvers mit den Newtonianern dienen könne, habe ich die falsche Darstellung nach der Hypothese zugleich mit aufgezeichnet, umsomehr als man den Sinn, in welchem Herschel versucht hat, mit dem unsrigen dadurch am leichtesten vergleichen kann.

So manches noch hinzuzufügen ist, schließe ich doch gegenwärtig und erwarte die Resultate Ihrer Untersuchungen.

Der ich recht wohl zu leben wünsche.

Weimar am 7. März 1801.

[193]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1801. An Johann Wilhelm Ritter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6EB8-C