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An Cornelie Goethe

Leipzig d. 6 Dec. 1765.

la veille du jour de ta naissance

Mädgen,

Ich habe eben jetzo Luft mich mit dir zu unterreden; und eben diese Lust bewegt mich an dich zu schreiben. Sey stoltz darauf Schwester, daß ich dir ein Stück der Zeit schencke die ich so nohtwendig brauche. Neige dich für diese Ehre die ich dir anthue, tief, noch tiefer, ich sehe gern wenn du artig bist, noch ein wenig! Genug! Gehorsamer Diener. Lachst du etwann Närrgen, daß ich in einem so hohen Tone spreche. Lache nur. Wir Gelehrten, achten – was! Meinst du etwa 10 rh. nicht. Nein wir gelehrten achten euch andern Mädgen so – so wie Monaden. Warrlich seitdem ich gelernt habe daß mann ein Sonnenstäubgen so in einige 1000 teilgen teilen könne, seitdem sage ich, schäm ich mich daß ich jemahls einem Mädgen zugefallen gegangen binn, die vieleicht nicht gewußt hat, daß es thiergen giebt, die auf einer Nadelspitze einen Menuet tanzen können. Transeat. Doch daß du siehst wie brüderlich ich handle; so will ich dir auf deine närrischen Briefe antworten. Eure kleine Gesellschaft[19] mag ganz gut sein; grüß mir die lieben Mädgen – O zum Henker! Da wiedersprech ich mir ja selbst. Du siehst schwester daß es mir mit den Monaden kein Ernst ist. Grüße Hrn. Bißmannen und Hrn. Tymen. Sage Ifr. Tanten daß ich auf einen Brief von ihr hoffe. Du bist eine Närrin mit deinem Grandison. Ich kann nicht finden was Marty H. gesagt hat. Aber mercke dirs, du sollst keine Romanen mehr lesen, als die ich erlaube. Ich habe der Sache nachgedacht und halte es für meine Schuldigkeit dir zu sagen was ich davon dencke. Ich will euch ehestens eine kleine Abhandlung schicken die ich davon schreiben werde. Aber laß dirs nicht Angst seyn Grandison Clarissa und Pamela sollen vielleicht ausgenommen werden. An guter Unterhaltung im Lesen soll dirs aber nicht fehlen ich will deßwegen an den Papa schreiben. – Was! mit deinem schönschreiben! Danck dem Himmel daß du einen Buchstaben von mir zu sehen bekommst. Du hast nichts zu thun, da kannst du dich hinsetzen und zircklen, ich aber muß alles in Eile thun. Du willst daß ich meine Tisch Gesellschafft beschreiben soll. Ich will anfangen, aber ganz nun wohl nicht. Dr. Ludwig unser Wirth. Ein Mann dem 50 Jahre, vieles ausgestandene Elend, und die große Menge seiner Geschäfte, nichts von der Munterkeit die er im 20 Jahre gehabt wegnehmen können. Er ist ohne Facon, schwätzt schröcklich viel von Mädgen, und ist ein auserordentlich Leutseeliger und wohltätiger Mann. Seine Liebe [20] zur Geselschaft hat ihn bewogen ein ziemlich großes Hauß zu mieten, wo er eine Menge Magisters und andere Leutgen beherbergt. Eben dieß ist auch die Ursache seines Tisches den er hält. Magister Morus. Ein Teolog. Ein sehr artiger und geschickter Junger Mann: er redet wenig allein sieht immer freundlich aus. Magister Herrmann Ein Mediciner sein Nachbaar ist gleichfalls keiner der beredesten aber macht immer ein verdrißliches Gesicht. Aber sonst ist es ein sehr schöner Mann, ich will dir ihn freyen. Hier hast du sein Portrait, es schmeichelt gewiß nicht. Ohngefähr 4 1/2 Fuß hoch. Vom Gesichte zu reden. Es besteht wie das Gesicht anderer Menschen aus Augen, Nase pp aber die Zusammensetzung davon, ach die entzückt. Finstere schwarze Augen, die von den herabhangenden Augenbrauen beschattet werden, keine sonderlich schöne Nase, die durch das eingedrückte der Wangen sehr erhöht wird, ein aufgeworfener Mund, der so wie das Kinn mit einem schwarzen stachelichen Barte besetzt ist, sonst ist eine ziemlich starcke Röhte über sein ganzes Antliz verbreitet. Seine Reisen haben ihn nicht klüger gemacht. Er flieht die Welt, weil sie sich nicht nach ihm richten will. Die andern auf ein andermahl.

Schwester schicke zu Schweitzern, er hat den Graf P. noch. Erkundige dich ob die Heuraht des Hrn. Löper gewiß ist. Nachb. Max. hat an mich geschrieben. Großen Dank für deine Ermahnungen.

[21] Schreibe nur oft denn du hast Zeit, alles was merckwürdiges in der Stadt vorgehet.


Antwort auf den Brief vom 21 Nov.

Was willst du von mir lernen? Wilst du etwan wissen daß die fallenden Cörper in ungleichen Zahlen geschwinder werden. Oder daß die Quadratwurzel von 16, 4 ist. Was machtest du mit denen Sachen? Nein ich will dich was bessers lehren. So wollen wir es machen Schwester. Schreib deine Briefe auf ein gebrochenes Blat und ich will dir die Antwort und die Critick darneben schreiben. Aber lasse dir vom Vater nicht helfen. Das ist nichts. Ich will sehen wie du schreibst. Jetzo werde ich den Anfang machen. Mercke diß: schreibe nur wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben.


Critick über deinen Brief.

Du wirst doch eine Abschrift davon haben.

denn ich sehe. dieses hängt nicht mit dem nachfolgenden so zusammen. Abzwecken ist kein Briefwort. Sagst du es im gemeinen Leben? Weil du an viel hohe Dinge denckst wäre natürlich. weitläufiger werdenden das Participium ist nicht gut angebracht. Setze lieber, die bald weitläufiger werden wird. Zu Ohren bringen wenn der Ausdruck auch gebraüchlich wäre; so wär der Gedancke doch nicht richtig. Indem ist nicht gut. Verlauten will [22] ist Curial. Als ist nicht besser. Durchleben ist poetisch. Und giebt man sich Mühe es wäre besser: Man giebt sich Mühe. subsistiren ist nicht deutsch. Herbst setze lieber Weinlese. Exequien deutschgeschrieben! Castrum doloris besser Trauer Gerüste. beschauen ist nicht gewöhnlich.Dass dir bald p. warum lässest du die Verba auxiliaria aus, hätte. mit der Zeit hinwissen, besser, weil ihnen die Zeit lange wird. Alschon ist curial.Veranstaltung ist nicht o gut. gesonnen ist, besser: will. zu Ende gebracht, besser: geendigt. angewandelt, setze: angekommen.

d. 7 Dec.


Jetzt will ich antworten
Schreibe mir von der Reineckischen Sache doch umständlicher.

Wenn man sie in ein Kloster steckte
Und ihr Gesicht mit einem Schleier deckte.
Diß könnte wohl zu ihrem Vorteil seyn
Den Reitz, der ihr jetzt fehlt, kann neue Tracht ihr geben,
Da kann sie immer einsam leben,
Sie ist ja gern allein.

Was ich von Frau Fremont dencke. Ihr Mann taugte nicht viel, sie auch nicht

Das Ende krönt jetzt die vergangne Zeiten,
Wer einmahl glitt, wird leichte zweimal gleiten.
Kind die Exequien die waren würklich schön,
Wer wird nicht den Verstand der klugen Domherrn sehn.
Er der aus Sparsamkeit oft was er war vergaß.
Der Wasser tranck und harte Eyer aß.
[23] Der dessen Lehre
War; daß der Fürsten Ehre,
Allein im vollen Beutel wäre.
Er der gespaaret statt gekriegt,
Er den kein leerer Pracht vergnügt,
Der würde sich im Grabe wenden,
Wolt' man nach feinem Todt so ohne Noht verschwenden.

Das Teater! Gut, vielleicht wird nichts gescheuters daraus als aus der neulichen Zayre. Doch schreibe mir nur oft. Auf deine närrische Fragen zu antworten. Böß bin ich etlichemahl geworden. Aber noch kein j'enrage. Das Waldhorn lautet, nun, wie es lautet. keine Hippine giebt hier.


Ich schreibe jetzt von meinem Belsazer.
Faßt ist der letzte Aufzug auch so weit
Als wie die andern sind. Doch wiß du das:
In Versen, wie hier die, verfertigt ich,
Die fünfte Handlung. Dieses Schwester ist
Das Versmas das der Britte braucht, wenn er
Auf dem Coturn im Trauerspiele geht.
Jetzt steh ich still, und denck den Fehlern nach,
Den Fehlern die so häufig sind, wie hier
Studenten sind. Da denck ich nach, und die
Verbessr' ich. Dir schick ich vielleicht einmal
Etwas davon, Wie auch von dem was ich
Sonst noch in Versen schrieb. Jetzt Lebe wohl.
Grüß mir die Mutter, sprich, sie soll verzeihn,
Daß ich sie niemals grüsen ließ, sag ihr
Das was sie weiß, – daß ich sie ehre. Sags,
[24] Daß nie mein kindlich Hertz von Liebe voll
Die Schuldigkeit vergißt. Und ehe soll,
Die Liebe nicht erkalten eh ich selbst
Erkalte.

Versuch einer poetischen Ausarbeitung Belsazars.

Pherat. Erst. Auf. 1. Auftr.
Wie? da das Glück sich selbst auf unsre Seite wendet
Und den zu sichern Feind, in unsre Netze sendet,
Wie Herr, da zweifelst du, daß uns der Streich gelingt,
Der Belsazern, den Tod, und dir, die Krone bringt?
Nein, heute muß es seyn, es sterb der König heute,
Es sey ein Tag voll Tod, der große Tage der Freude,
Heut ist des Sesachs Fest, ich weih ihm meine Wuht,
Statt Wein der sonst ihm floß, fließ heut ihm rauchend Blut,
Den König, und den Hof mag erst der Wein erfüllen,
Dann wollen wir den Durst in seinem Blute stillen.
Wann erst die Mitternacht um den Tyrannen liegt,
Und seinen müden Geist in süsse Träume wiegt;
Ja dann, soll unser Schwerdt im Finstern gehn und schlagen
Und durch die Finsterniß den Tod zum König tragen.
Dann soll das Tohr der Stadt dem Zyrus offen stehn,
Und du durch unsre Faust zu Babels Trohne gehn.
Dann wird der Unterthan der den Tyrannen scheuet,
Durch dich den er verehrt, von harten Joch befreyet.
Sey kühn und fürchte nichts, sein Untergang ist nah,
Dich zu verteidigen, sind tausend Fäuste da pp

Es ist heute dein Geburtstag, ich sollte dir poetisch glückwünschen. Aber ich habe keine Zeit mehr, auch keinen Platz mehr. Werde klüger so wie du älter wirst. Leb wohl.


[25] Antwort auf den Brief

vom 6 Xbr.

Du sagsts! – – – – – –

Erzähle mir doch ausführlicher von dem jüngfraülichen Concerte. Auch von dem Teater, dem Trauerspiele, das sie gespielet haben pp. Ich gehe manchmahl in die Comödie. Ich wünschte daß ich dich mitnehmen könte. Dein Leibstück den Kaufmann von London habe ich spielen sehen. Beym größten Teil des Stücks gegähnt, aber beym Ende geweint. Ferner Miß Saara, Zayre, Cenie, Die Poeten nach der Mode, die Verschwörung wieder Venedig pp. Sie haben hier einen Acteur, der Brückner heißt, sogut wie Bersac und eine Actrice Starcken, so gut wie Madam de Rosne. Neulich sah ich Tartüffen. Top! da fiel mir ein Kerl ein der eben so aussieht. Rähtst du ihn, er macht so kleine Augen! Ha! Ha! Ha! Ein Schurcke wie der andre. Ich will jetzo von was anders reden, nehmlich von dem was ich dir am nohtwendigsten glaube, das ist von deiner jetzigen Unterhaltung im Lesen. Du bist über die Kinderjahre, du mußt also nicht nur zum Vergnügen, sondern zur Besserung deines Verstandes und deines Willens lesen. Bitte dir vom Papa Zeit dazu aus, er wird dir sie geben. Zuerst sollst du den Zuschauer lesen laß dir ihn [26] durch Hrn Ohme Textor von der Stadt Bibliotheck schaffen. Dieses Buch ließ mit Aufmercksamkeit. Du wirst viel gutes darinn finden. Allein ich muß dich auch lesen lernen. Nicht wahr, das kommt dir wunderlich für, daß ich so rede. Ich kenne dich ich weiß wie und warum du liesest. Siehe so mußt du es machen. Nimm ein Stück nach dem andern, in der Reihe, ließ es aufmercksam durch, und wenn es dir auch nicht gefällt, ließ es doch. Du must dir Gewalt antuhn |: Ich sag es noch einmahl: wenn du haben willst daß ich für dich sorgen soll; so mußt du mir folgen, und nicht nur Vergnügen beym Lesen suchen. :| Wenn du es gelesen hast; so mach das Buch zu und stelle Betrachtungen darüber an. Im Anfange wird es dir schweer fallen, aber bald wird es leichter gehen wie mit dem Schreiben. Fange damit an aber balde. Schreibe wie er dir gefällt, deine Gedancken über einzelne Stücke. Manchmahl werde ich Stücke aussuchen, und dein Urteil darüber erforschen. Dieses ist besser und dir nützlicher als wenn du 20 Romanen gelesen hättest. Diese verbiete ich dir hiermit völlig, den einzigen Grandison ausgenommen den du noch etlichemahl lesen kannst, aber nicht obenhin, sondern bedächtig. Sonnst kannst du auch die beyden Magazinen der Fr. v. Beaumont lesen sie find sehr gut |: das dritte: Magasin pour les jeunes Dames :| lese nicht. Die Briefe der Fr. von Montier von eben der Fr. von Beaumont sind auch lesenswert. Die Lettres [27] de Md. Montague gleichfalls. Im Italienischen den Pastor fido doch der ist manchmahl schweer, laß dir ihn vom Vater erklären. Ferner Epistole di Cicerone. Der Papa hat sie. Wenn du Tassos Gerusaleme liberata verstehst, lese sie auch. Sonst kanst du das Buch J studii delle donne stückweise für dich nehmen, das ganze möchte für dich zu lang seyn. bey jedem auf die Sprache, die Sachen und die Wendungen womit die Sachen gesagt sind gesehen. Nur das mercke bey Ciceros briefen du must sie aussuchen. sonst ließ italienisch was du willst, nur den Decameron vom Boccacio nicht. Französch nim Les Lettres de Pline. Von den Comödien des Moliere will ich dir einen Auszug machen. So weit für dießmahl. Der Papa wird mit meinen Anstalten zufrieden seyn. Du siehst ich studiere doppelt für mich und für dich. Die Stunden die mir frey bleiben, sorg ich für dich, belohne mich, und folge. Noch eins. Laß das Liebe Mädgen die Runckel von dem was du ließt, auch genießen. Es ist mit für sie, daß ich arbeite. Nimm die Stücke des Zuschauers ließ sie ihr vor, frag ihre Gedancken und schreibe mir es. Auch das was sie sonsten denckt, alle ihre Gesinnungen, ich will für sie sorgen. Ich habe euch gar zu lieb. siehe ich schreibe bey Nacht für euch. Aber ich höre keine Hippine. Es ist schon 12. Noch was. Ich will auser dem Briefwechsel mit dir, noch einen mit euch beyden anfangen, und euch so viel ich kann zu nutzen suchen. [28] Du hast zeit dazu. Ihr sollt mich auch lieb haben, und alle Tage wünschen: o wär er doch bald bey uns. Leb wohl

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1765. An Cornelie Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6DAE-A