38/201.
An Therese von Jakob
[Concept.]
Bey Rücksendung des mir anvertrauten höchst interessanten Heftes danke auf das verbindlichste daß Sie mir eine solche Übersicht des vorliegenden Geschäftes geben mögen. Bewunderung und Theilnahme hat sich nur vermehrt. Beyliegendes Blatt verlangt weiter keinen Einfluß und will Sie nicht im mindesten geniren; es zeige Ihnen nur daß ich so geschwind als möglich mir nach meiner Art von den versammelten Schätzen Begriff und Kenntniß zu geben gewünscht.
Gehen Sie den eingeschlagenen Weg fort, so kann nur daraus Erfreuliches entstehen; mögen Sie bey der Herausgabe meiner freundlich gedenken, so wird es mir sehr angenehm seyn. Zu einem Vorbericht hab ich nicht Kenntnisse genug, aber ich bereite mich zu einer vorläufigen motivirten Empfehlung, welche dem Unternehmen wohl förderlich seyn dürfte.
[239] Möchten Sie mir in der Folge das reine Manuscript zusenden so will ich gern gewisse kleine Bemerkungen mittheilen; sobald die Hauptsache richtig ist, so läßt sich mit frischem Blick im Einzelnen gar manches Gefällige nachhelfen.
Zu dem was ich über diese Angelegenheit zu sagen gedenke fehlen mir Notizen hie und da, ich sende deshalb hier einige Anfragen die Sie mir nach Ihrer Übersicht des Ganzen mit wenigem beantworten können.
1) An welcher Stelle lag denn eigentlich das Amselfeld?
2) Der Fürst Milosch Obrenowitsch, welchem Grimms serbische Grammatik gewidmet ist, hat er irgend eine politische Stellung gegen die Türken? Oder ist er nur ausgezeichnet reich und hohen Standes?
Wegen des zu übernehmenden Verlags der Übersetzung sollte ich denken, derselbe müßte der Reimerischen Handlung zu Berlin höchst angenehm seyn, welche das Wukische Lexikon und dessen gesammelte Volkslieder übernommen hat. Ich will gelegentlich durch Freunde nachfragen lassen.
Ferner lege ein Gedicht bey, von Herrn Wuk wörtlich übersetzt, und frage an, ob Sie es mir zu Liebe wohl in's Sylbenmaaß bringen möchten. Es ist freylich nicht geeignet in Ihre Sammlung aufgenommen[240] zu werden, aber doch von der größten Charakter-Schönheit, das Verhältniß der Türken und Christen klar und lieblich aussprechend; ich würde es dankbar in Kunst und Alterthum aufnehmen.
Weimar den 8. September 1824.
[Beilage.]
Serbische Gedichte
wären nach meiner Ansicht folgendermaßen zu ordnen.
I. Liebeslieder. Da sie kurz, klar, faßlich eingänglich sind und das Gemüthsleben des Volkes so mannichfaltig als erfreulich ausdrücken, verdienten sie die erste Stelle und würden, mehr als irgend eine Einleitung, den Charakter der Nation von dieser Seite aufschließen. Sie wären möglichst zu vermehren, sodann zu sortiren und zu ordnen, von den neckischen, zarten, gefühlvollen bis zu den schmerzlichen auf Scheidung, Tod und auf ein dauerndes Verhältniß auch nachher hindeutend.
II. Familienlieder. Da auch diese höchst mannichfaltig die Zustände der Familien, die Bezüge ihrer Glieder, so wie auch mitunter zum Staat und zur Nation aussprechen, verdienen sie wohl den zweyten Platz. Hier finge man umgekehrt an und ginge von den schmerzlichen, traurigen, durch sittlich fromm versöhnende, zu gefälligen und heitern, und zwar wie folgt:
III. Abenteuer Marko des König-Sohns. Der nur einzeln heraustretende Held findet schon ein Nationalelement worauf er fußt; mit manchen Verhältnissen ist man durch das Vorhergehende schon bekannt; man verwundert sich noch immer über seine großen kühnen Thaten, aber sie befremden nicht. Von diesen Gedichten würden zweye weggelassen, der böse Bogdan S. 12, denn hier erscheint Marko seiner unwürdig, wäre Bogdan der Satan selbst, so müßte Marko nicht vor ihm fliehen. Ferner bliebe weg des Vaters Säbel S. 38 als Wiederholung des Vorhergehenden. Dieses Gedicht ist nicht gut und verwirrt nur den Eindruck des ersten. Ordnen könnte man sie ohngefähr folgendermaßen:
[242] IV. Staats- und Kriegsgeschichten. Diese einzelne mögen abgetheilt für sich stehen bis man sie etwa schicklich unterbringt.
V. Schlacht auf dem Amselfelde 1389 (auf dem Felde Cassowa). Macht, den Untergang des bisher den Türcken widerstehenden Reiches vortragend, billig den Schluß und wäre auch erst nach allem Vorhergehenden verständlich und interessant. Man müßte die Nation in ihren Werden, Streben, Streiten erst recht gekannt haben, wenn ihr Untergang uns zur Theilnahme rufen soll. Die Ordnung wie sie auf einander folgen gibt sich von sich selbst:
VI. Die Hochzeit des Maxim Cernojewitsch. Stünde als einzelnes Hauptgedicht als Zugabe und Abschluß billig am Ende; man hielte sich an den Text wie ihn Professor Vater gebracht hat. Von den Varianten die er in den Noten anführt will mir keine gefallen.
unmaßgeblich
J. W. v. Goethe. [243]