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An Christian Gottlob Heyne

Sie kommen mir durch Ihr gütiges Schreiben auf eine freundliche Weise zuvor, und beschämen mich dadurch um so mehr, als ich gewissermassen Ihr Schuldner geblieben bin. Ich mußte fürchten daß Sie mich für inkonsequent halten möchten, da ich, bey meinem Eintritt [5] nach Rom, mein Verlangen Ihnen zu dienen bezeigte und nachher, ausser einer vorläufigen Antwort, nichts wieder von mir hören ließ. Allein ich darf zu meiner Entschuldigung sagen: daß es mir sonderbar genug und im Grunde doch ganz natürlich gegangen ist. Ich erkenne es jetzt selbst erst nach meiner Rückkunft, aus den Briefen die ich von dorther an meine Freunde schrieb und die mir jetzt wieder zu Gesicht kommen.

Im Anfange hatte ich noch Lust und Muth das einzelne zu bemercken, es nach meiner Art zu behandeln und zu beurtheilen; allein je weiter ich in die Sachen kam, je mehr ich den Umfang der Kunst übersehen lernte desto weniger unterstand ich mich zu sagen und meine letzten Briefe sind eine Art Verstummen oder, wie Herder sich ausdrückt: Schüsseln, in denen man die Speisen vermißt.

Wenn ich mich werde gesammelt haben, werde ich erst selbst erkennen was ich mir erworben habe und dann wird leider gleich das Gefühl eintreten von dem was mir noch abgeht. Was ich dem Publiko vorlegen könnte sind Bruchstücke, die wenig bedeuten und niemand befriedigen.

Daß Herder zu eben der Zeit als ich hier ankomme, weggeht, ist mir ein sehr leidiger Vorfall. So sehr ich ihm die Reise gönne; so mußte ich dich nothwendig wünschen: daß er mir entweder hier oder ich ihm dort nützlich seyn möchte.

[6] Nach meinen Verhältnissen kann ich nicht hoffen Ihnen sobald in Göttingen aufzuwarten, ob ich es gleich herzlich wünsche, denn der größte Theil von dem was mir abgeht, ist eben das was Sie im Überfluße besitzen.

Sollte ich über das was ich an alter und neuer Kunst bemerckt ein allgemeines Glaubensbekenntniß hersetzen, so würde ich sagen: daß man zwar nicht genug Ehrfurcht für das, was uns von alter und neuerer Zeit übrig ist, empfinden kann, daß aber ein ganzes Leben dazu gehört diese Ehrfurcht recht zu bedingen, den Werth eines jeden Kunstwerks in seiner Art zu erkennen und davon, als einem Menschenwercke, weder zu viel zu verlangen, noch auch wieder sich allzuleicht befriedigen zu lassen.

Wenn ich geneigt wäre etwas auf das Papier zu bringen; so wären es vorerst sehr einfache Sachen. Z.B. inwiefern die Materie, woraus gebildet worden, den klugen Künstler bestimmt, das Werk so und nicht anders zu bilden. So geben die verschiednen Steinarten gar artige Aufschlüße über Baukunst, jede Veränderung des Materials und des Mechanismus, giebt dem Kunstwerke eine andere Bestimmung und Beschränkung. Die Alten waren, nach allem, was ich bemercken konnte, auch besonders hierin unaussprechlich klug und ich habe mich oft mit großem Interesse in diese Betrachtung vertieft.

Sie sehen daß ich sehr von der Erde anfange und[7] daß es manchmal scheinen dürfte, als behandelte ich die geistige Sache zu irdisch; aber man erlaube mir zu bemercken: daß die Götter der Griechen nicht im siebenten oder zehnten Himmel, sondern auf dem Olymp trohnten und nicht von Sonne zu Sonne, sondern allenfalls von Berg zu Berg einen riesenmäßigen Schritt thaten. Es ist gut daß mich der Raum nötigt aufzuhören. Ich empfehle mich Ihnen bestens und bitte mich mit Ihrem Angedenken zu erfreuen.

Weimar d. 24. Jul. 1788.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1788. An Christian Gottlob Heyne. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6B63-2