Kunst, die Spröden zu fangen
Erste Erzählung
Verzweifelt nicht, ihr Jünglinge, wenn eure Mädchen spröde sind. Niemals hat noch die Kälte der mütterlichen Lehren ein weibliches Herze so zu Eise gehärtet, daß es der alles erwärmende Hauch der Liebe nicht hätte zerschmelzen sollen.
Hört, was mir mein Freund erzählte, dem ich sonst viel glaube:
Ich liebte ein Mädchen recht feurig, recht zärtlich; aber sie floh die Jünglinge und die Liebe, weil ihr die Mutter die Jünglinge und die Liebe sehr fürchterlich gemalt hatte. Das schreckte mich nicht ab, es machte mich nur behutsam.
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Wenn ich sie im Haine antraf, redete ich sie ganz trocken an. Meine Kälte betrog sie, daß sie nicht floh und mit sich reden ließ. Ich sagte ihr viel von erhabnen Empfindungen, die ich Freundschaft nannte; leicht gewann ich da ihre Vertraulichkeit.
Ich ward ihr Freund, sie meine Freundin. Mein Umgang fing an, ihr täglich weniger gleichgültig zu werden. Sie freuete sich, wenn ich kam, und betrübte sich, wenn ich ging.
Ich war oft mit ihr alleine gewesen, doch hatte ich es nicht wagen dürfen, die Lehren der Mutter mit Gewalt anzugreifen. Nach und nach suchte ich sie mit List zu untergraben. Seit einiger Zeit war ich ihr Lehrer geworden, hatte sie viel Gutes gelehrt; und dem Liebhaber glaubt ein Mädchen immer mehr als der Mutter. Da fing sie an zu zweifeln, ob auch die Mutter immer möchte wahr geredet haben. Das merkte ich, und wußte ihre Zweifel zu nähren.
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Sobald ich sie wiedersah, redete ich feuriger, küßte ich sie feuriger als sonst. Ich sah, daß sie bewegt ward.