698. Der Gardwinger Grund.

(S. Reusch, Sagen d. preuß. Samlandes S. 90.)


Der Wirth K. übernahm nach dem Tode seiner Eltern ihr Bauergut in Gardwingen und wollte, wie das zur vollständigen Einrichtung der Wirthschaft gehört, nun auch heirathen. Bei seiner Hochzeit sollte seine Schwester Brautjungfer sein, diese wollte sich aber anders nicht dazu verstehen, als wenn sie in einem rothen Kleide auftreten könne. Ihr Bruder bat sie vor und nach Gott davon abzustehen, weil er kein Geld habe, ja weil er gar nicht die Kosten der Hochzeit überleben könne, wenn er ihr ein solches Kleid schaffen solle. Doch half kein Bitten, kein Flehen, sie tribulirte ihn jämmerlich. Des Nachts, als sie in den Federn lag, klopfte Jemand an ihr Kammerfenster; sie öffnete, ihr Liebster stand davor. Die Züge ihres Bräutigams hatte aber der Teufel angenommen, überreichte ihr in hocheigner Person ein rothes herrliches Kleid und sprach: »Da hast Du, schmücke Dich.« Die Brautjungfer war höchst erfreut und trat stolz im herrlichen Ornate nach beendeter Trauung die Polonaise an, welche auf jeder Landhochzeit unter Jauchzen und Kreischen begangen wird. Niemand merkte etwas Unrechtes, bis die Musikanten entdeckten, daß der Teufel einen Zipfel des rothen Kleides erfaßt hatte, immer hinter der Brautjungfer einhersprang und sich lustig machte. Allen andern war er unsichtbar, aber die Spielleute erkannten ihn ganz sicher daran, daß er einen Ochsen- und einen Pferdefuß hatte. Sie begannen daher das herrliche Lied: »Gott und Vater wohn' uns bei etc.« Der Teufel wich nicht und wenn er auch sonst nichts hatte, woran er sich halten konnte, so klammerte er sich desto fester an das rothe Kleid. Die armen Hausbewohner konnten sich vor ihm gar nicht retten. Sollte angespannt werden, so fehlte der Wagen und stand auf dem Schuppen; sollte das Vieh ausgetrieben werden, so fand es sich endlich im Mittelfach der Scheune und alles Essen lag voll Schweinekoth. Kein Pfarrer konnte ihn bannen, bis endlich einer über ihn Macht bekam und ihm so zusetzte, daß er sich zu weichen erbot, wenn man ihn mit vier Pferden ohne Köpfe in den Gardwinger Grund fahren wollte. Da Menschenmacht ihm solch ein Fuhrwerk nicht gestellen konnte, so besorgte [635] er es sich endlich selbst und fuhr von hinnen. In dem Grunde stieg er auf einem Steine ab, der die Spur des Ochsenfußes und der Hahnenkralle, wie der Teufel auftrat, deutlich in sich aufnahm.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. West- und Ostpreußen. 698. Der Gardwinger Grund. 698. Der Gardwinger Grund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5354-7