[564] 610) Die drei Becher von Falkenstein. 1

Nicht fern von dem Ausflusse der Selke aus dem schönen romantischen Thale, das sie vom bernburgischen Städchen Güntersberge bis zum preußischen, der Asseburg'schen Familie gehörenden Dorfe Meisdorf in tausend kleinen Krümmungen durchfließt, erhebt sich auf einem ihrer letzten und höchsten Berge bald am Ausgange des Thales das alte Schloß Falkenstein. Seine Erbauung geht bis auf die Mitte des eilften Jahrhunderts zurück, seine Besitzer waren früher die Grafen von Falkenstein, von denen Graf Hoyer, der zu Anfange des 13. Jahrhunderts lebte, großen Antheil an dem von Eicke von Repko verfaßten Sachsenspiegel hatte. Im Jahre 1332 kam das Schloß durch Erbschaft an das Domstift Halberstadt, allein im Jahre 1386 erkauften die Brüder Bernhard und Busso von der Asseburg es von demselben und wurden im Jahre 1449 förmlich mit demselben beliehen, worauf es denn bis heute in dem Besitze dieser Familie geblieben ist. Am Schlusse des 15. Jahrhunderts lebte nun hier auf diesem Schlosse ein gewisser Asche von der Asseburg mit seiner Hausfrau Anna aus dem alten längst erloschenen Geschlechte derer von Arnstein. Dieselben hatten acht Söhne und zwei Töchter mit einander gezeugt, die sie ganz gegen die Sitte der damaligen Zeit selbst erzogen und unterrichteten. Abends saßen sie im Kreise ihrer Kinder und verbrachten die lange Winterzeit mit Erzählung von Märchen und Sagen aus ihrer Familie und ihrem Vaterlande. So erzählte denn eines schönen Tages der Burgherr auch, es seien einst, als noch die Grafen von Falkenstein Besitzer der Burg gewesen, kleine Männchen und Frauen vor das Bett der in Kindesnöthen liegenden Burgherrin getreten und hätten selbiger ihre Hilfe in ihren Schmerzen angeboten, die letztere hätte jedoch solche abgelehnt, und er dafür die kleinen Leute mit schimmernden Steinchen beschenkt und selbige gebeten, in den Tiefen des Felsens, auf welchem das Schloß erbaut war, ihren Wohnsitz zu behalten.

Der Burgherr hing mit unerschütterlichem Glauben an der Wahrheit dieser Sage, seine Gemahlin aber spöttelte stets darüber, so oft derselbe auf sie zurückkam, und erklärte, sie werde nur dann dieselbe glauben, wenn ihr selbst ein solches kleines Wesen zu Gesichte gekommen sein würde. Dieser Wunsch sollte jedoch bald in Erfüllung gehen.

Einst lag sie schlaflos an der Seite ihres in festen Schlummer versunkenen Gemahls in ihrem hohen Schlafzimmer, da hörte sie auf einmal aus der Ecke des Zimmers wie unter den Dielen desselben ein sonderbares Geräusch, sie ward natürlich darüber aufmerksam, richtete sich im Bette auf, um zu sehen, was wohl daraus werden würde und war eben im Begriff ihren Gemahl zu wecken, der, trotzdem daß ein grimmiges Unwetter in den Lüften herrschte und der Sturm durch die Schornsteine brauste und der prasselnde Regen an die Fenster schlug, fest schlief, als sie an der gedachten Stelle plötzlich auch den Boden hell werden sah; dieser Lichtglanz nahm immer mehr zu und auf einmal sah sie überhaupt keinen Boden mehr, sondern nichts als ein blendendes Lichtmeer, aus dem erst ein ohngefähr einen Fuß hohes kleines Männchen, dann noch eins, hierauf ein drittes, viertes [565] und so fort, bis es zwanzig waren, traten und dann mit einander dreimal im Kreise um die vier Wände des Zimmers zogen. Endlich trat der zuerst Eingetretene vor das Bett der in stummes Erstaunen versunkenen Rittersfrau und sprach also zu ihr: »Anna, komm, hilf meinem kreisenden Weibe, sonst stirbt es!« und alle Uebrigen riefen: »Hilf, hilf!« Der Burgherrin klopfte das Herz vor Angst und sie vermochte keinen Laut hervorzubringen. Da fragte das Männchen nochmals ängstlich flehend und die Hände ringend: »Anna, willst Du kommen?« Und Anna antwortete zitternd: »Ja, ich komme!« Da drehte sich der ganze Kreis der Männlein, die kleinen Hüte schwenkend, fröhlich herum und schlüpfte zur Oeffnung, wo sie hergekommen, wieder hinein, nur das erste derselben blieb zurück und sprach: »So folge mir, Anna!« Anna erhob sich, warf, ohne ihren Gemahl aufgeweckt zu haben, einen Mantel über und folgte dem Männchen durch die helle Oeffnung, welche sich im Augenblick so erweiterte, daß sie hindurch konnte. Durch einen langen, gerade laufenden, zuweilen durch Stufen unterbrochenen, immer tiefer führenden Gang, der jedoch hell erleuchtet war, geleitete sie ihr Führer. Da kamen sie in ein großes Zimmer, wo ringsum die andern Männchen standen und sich tief bückten, als die Rittersfrau hindurchging, von da aber in ein zweites gleich großes Zimmer, wo eben so viele kleine Weiblein, alle weiß gekleidet, in einem Kreise standen und sich ebenfalls vor ihr verneigten. Nun gingen sie in ein drittes Zimmer, worin die Kreisende selbst lag, von klagenden Weibleins umgeben, die alle vor der Rittersfrau niederfielen und ihre Händchen flehend nach ihr emporhoben. Die kluge, erfahrene Anna trat nun zu der Kreisenden, half ihr so gut sie es vermochte, und noch war keine halbe Stunde verflossen, so hielt sie ein kleines feingebildetes Knäbchen, einem Wachsbilde gleich, der glücklichen Mutter hin. Da tanzten alle Weibchen vor Freude, man hörte eine leise liebliche Musik, die Männchen kamen tanzend und springend mit den kleinen Frauen und wirbelten sich einige Male schnell im Kreise herum. Ganz allein aber blieb jetzt die Rittersfrau bei der Wöchnerin zurück und jene sprach zu ihr: »Anna, Du hast mir geholfen und das Leben gerettet, dafür sei bedankt; zum Andenken an mich, die Du nie wiedersiehst, reiche ich Dir hier drei Becher; 2 bewahre sie sorgfältig, denn wisse, von ihrer Dauer hängt die Dauer des Stammes der Asseburger ab, zerbrechen sie, so bricht auch er und verdorrt, darum hüte sie wie Deinen Augapfel. Lebe wohl!«

Mit diesen Worten reichte sie ihr zum Abschied die Hand und Anna ging, von Niemandem geleitet, mit ihren drei Bechern durch jene hell erleuchteten Zimmer und den langen Gang nach ihrem Schlafgemach zurück. Kaum hatte sie die Oeffnung in den Dielen passirt, so schloß sich der Fußboden wieder und nichts war mehr von dem Eingang in die Unterwelt zu sehen. Sie weckte hierauf ihren Gatten und theilte ihm das Geschehene mit, zeigte ihm auch die drei Becher, allein wenig erfreut waren Beide über das erhaltene Andenken, an dessen Dasein die Erhaltung und das Gedeihen ihres Stammes geknüpft war und womit ihnen eine Verpflichtung aufgebürdet war, [566] die mit steter Angst und Verantwortung verknüpft war. Für den Unglauben an die Wahrheit der alten Sage fühlte sich die Burgherrin durch die auferlegte Bürde bestraft und die Sorge nagte an ihr, ihre Nachkommen möchten ihr dereinst Schuld geben, daß sie durch ihr frevelhaftes Zweifeln und die leichtsinnige Herausforderung der Zwerge über sie jene Gefahren heraufbeschworen habe, die eben nur durch die sorgsamste Aufbewahrung jener zerbrechlichen Gefäße verhütet werden könnten. So sehr nun auch der bekümmerte Gatte sie aufzurichten und ihr diese Sorge auszureden suchte, umsonst, der Gram verzehrte sie und nach Jahresfrist bettete man sie in die Gruft der Ahnen der Asseburger und Falkensteine.

Die drei Becher wurden sorgfältig bewahrt, sie erbten sich fort und fort im Geschlechte der Asseburger durch zwei Jahrhunderte hindurch, denn fest hielt man den Glauben an ihre hohe Wichtigkeit und wachte mit ängstlicher Sorgfalt über ihre Erhaltung. Dennoch zertrümmerte einer davon. Es lebte nämlich in Wallhausen in Thüringen's goldner Aue eine Wittwe Asseburg, bei welcher die Becher eben verwahrt wurden. Da traf es sich, daß zwei ihrer Söhne sie besuchten. Es waren junge Burschen und Freunde lustiger Zechgelage und so geschah es, daß der ruhige Wittwensitz bald von lustigem Becherklang ertönte. Einst hatten die Brüder auch eine zahlreiche Gesellschaft von adligen Junkern aus der Nachbarschaft geladen und beim fröhlichen Mahle kam das Gespräch auch auf die drei Becher und einer der Asseburger mußte wohl oder übel seinen Gästen die Geschichte derselben mittheilen. Wie es zu geschehen pflegt, fanden sich Gläubige und Ungläubige unter den Anwesenden und sehr bald verlangte einer der ersteren die Becher, welche, wie sich aus der Erzählung einer der Brüder ergeben hatte, hier verwahrt wurden, zu sehen. Zwar versicherten diese, daß dies nicht angehen werde, da ihre Mutter in diesem Punkte sehr streng sei und sie ihnen selbst noch nicht einmal gezeigt habe, allein die vom Wein aufgeregten Junker ließen sich nicht begütigen, sie bestanden darauf, zu der Hausfrau selbst geführt zu werden und sie selbst um die Gewährung ihres Wunsches zu bitten. Was konnten die hart bedrängten Brüder thun? sie mußten den Bitten ihrer Gäste nachgeben und sie in das Zimmer ihrer Mutter führen, wo der wilde Schwarm dann selbst sein Anliegen vortrug. Zwar schlug diese anfangs dasselbe rund ab, allein die brausende Jugend ließ nicht ab mit Bitten und Quälen. Nur sehen, nur aus der Ferne betrachten wollten sie die Becher, nicht sie berühren noch betasten. Endlich ließ sich die Edelfrau, welche dem lästigen Bitten ein Ende machen wollte, bestimmen, soweit nachzugeben, daß sie den Schrein, worin die Becher verwahrt wurden, öffnen zu wollen versprach, wenn sie sich ihrerseits verpflichten würden, zwei Schritte davon ruhig stehen zu bleiben und sich in dieser Entfernung die Becher anzusehen. Versprochen war dies leicht, aber nicht ebenso gehalten. Kaum war nämlich der Schrein geöffnet, als Alle darauf zustürzten und sich im Nu der kostbaren Gläser bemächtigten. Die Mutter schrie laut aus, bat und flehte, sie möchten doch ihr Wort halten, es sei dies gegen die Abrede, nichts half; einer der muntern Gesellen gab ihr zur Antwort, sie hätten sich einmal vorgenommen, das Wohl der Familie Asseburg aus diesen Schicksalsbechern zu trinken und dies müsse unbedingt geschehen. Damit eilten sie wieder in den Speisesaal und nahmen die Becher mit, wo sie sie mit dem besten Weine, [567] den sie hatten, füllten, und bald machten dieselben die Runde unter den fröhlichen Zechern. So tranken sie denn nicht blos die Gesundheit der Asseburger aus ihnen, sondern ein jeder Einzelne mußte aus ihnen hoch leben. Immer trauriger erklangen die Hoch's und der Becher Klang und so ging es denn fort, bis fast Keiner mehr recht seiner Sinne mächtig war. Da dachten sie denn endlich an die Heimkehr und einer der fremden Gäste ergriff im Rausche den einen der Becher und forderte einen andern derselben auf, ihm in dem andern Bescheid zu thun und noch einmal auf der Asseburger Wohl zu trinken. So erfaßten denn Beide die gefüllten Becher und stießen herzhaft damit zusammen, allein o Weh! einer derselben zerbrach bei dem heftigen Anprall und die Scherben fielen klirrend zu Boden. Da kamen die Trunkenen plötzlich wieder zu Sinnen, bestürzt standen die Thäter da und schauten bekümmert auf die Scherben nieder; zwar suchten sie dem Ereigniß die heitere Seite abzugewinnen und über das angeblich mit der Dauer der Becher verknüpfte Verhängniß der Asseburgischen Familie zu scherzen, vergebens versicherte einer der Brüder selbst, er glaube nicht an die Geschichte und für ihn sei der Verlust des einen Bechers nur darum schmerzlich, weil er wisse, wie tief derselbe seine Mutter kränken werde, die mit festem Glauben an der ihnen beigelegten Wirkung hänge. Das Geschehene konnte jedoch nicht wieder ungeschehen gemacht werden, still entfernten sich die schnell zur Besinnung gekommenen Zecher und den Brüdern blieb nichts übrig, als ihrer Mutter die traurige Begebenheit zu berichten und ihr die zwei noch geretteten Becher zurückzugeben. Aber nicht grundlos war ihre Besorgniß gewesen, daß der Verlust die alte Frau schwer erschüttern werde, sie erkrankte augenblicklich und erst nach Verlauf von acht Tagen vermochte sie sich wenigstens einigermaßen von dem gehabten Schreck zu erholen. Jetzt wollten die Söhne Abschied nehmen, allein ihre Mutter wollte sie nicht von sich lassen, es war ihr, als solle sie sie niemals wiedersehen. Indeß es mußte geschieden sein, unter heißen Thränen reichte ihnen ihre Mutter den Abschiedskuß, allein nach wenig Stunden ereilte sie das Schicksal. Kaum eine Stunde von Wallhausen entfernt, wurden ihre Rosse durch einen auffliegenden Storch scheu, ergriffen die Flucht, rannten, trotz Zügel und Zaum, wie toll Berg auf Berg ab und stürzten endlich sammt dem Wagen in die Fluthen des hoch angeschwollenen Helmeflusses, der das Grab der Brüder Asseburg ward.

Seit dieser Begebenheit bewahrt die Familie Asseburg nur noch zwei jener Schicksalsbecher, nm sie Zweiflern an der Wahrheit dieser Sage als schlagende Beweise dafür entgegen zu halten. Der eine befindet sich auf dem derselben Familie gehörigen Schlosse Hindenburg (oder Hinneburg) in Westfalen, der andere seit dem Beginn des zweiten Viertels dieses Jahrhunderts auf dem Schlosse Falkenstein, wo er aber nur einzelnen Auserwählten gezeigt wird.

Fußnoten

1 S. Gottschalck Bd. II. S. 238 etc. Thüringen und der Harz Bd. III. S. 57 etc.

2 Nach einer andern Erzählung hätte sie jedoch auch noch drei goldene Kugeln hinzugefügt, die jedoch im Laufe der Zeit, noch ehe der dritte Becher zertrümmert war, verloren gingen.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 610. Die drei Becher von Falkenstein. 610. Die drei Becher von Falkenstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4CD4-4