225) Die Hand aus dem Grabe. 1

In der Kirche des Dorfes Groß-Redensleben, ein Stunde von Seehausen, befindet sich gleich beim Eingange links vor der Thüre an einem steinernen Pfeiler eine hölzerne, schwarz angestrichene Tafel, welche folgende Inschrift hat:

II. Buch Mosis XX.

Sieh, sieh, Du böses Kind,

Was man hier merklich find't,

Eine Hand, die nicht verwes't,

Weil der, deß sie geweßt,

War ein ungerathenes Kind,

Die man auch jetzt noch findt.

Den Vater schlug der Sohn,

Darum hat er dieß zum Lohn,

Daß hier hängt seine Hand,

Hüt' Dich für solche Schand.


Auf dem Rande der Tafel, rund um jene Inschrift herum, stehen die Worte:

Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren, auf daß Du lange lebest im Land, das Dir der Herr Dein Gott giebt.

Unten an der Tafel befindet sich eine eiserne Kette, ungefähr eine halbe Elle lang, an derselben hängt eine Menschenhand, welche kurz an der Wurzel abgehauen ist; sie ist von aschgrauer Farbe, Haut und Fleisch sind gänzlich daran vertrocknet. – Man erzählt hiervon folgende Sage:

Vor dem 30jährigen Kriege lebte zu Groß-Redensleben ein frommer Mann, der einen sehr ungerathenen Sohn hatte. Dieser Sohn verlachte nicht nur des Vaters Ermahnungen, sondern ging in seiner Verstocktheit gar so weit, daß er seinen eigenen Vater mißhandelte. Einst hob er auch die Hand gegen ihn auf, als der Vater gerade für ihn um Besserung betete. Da geschah es aber, daß der ungerathene Bube plötzlich todt zur Erde niederfiel, zum sichtbaren Zeichen, daß der Himmel seinen Frevel nicht ungestraft [201] lasse. Als er nun aber am Tage nachher begraben war, da begab sich ein noch größeres Wunder; denn es wuchs plötzlich aus seinem Grabe seine Hand heraus, dieselbe Hand, womit er seinen Vater geschlagen hatte, als wenn sie in der Erde keine Ruhe habe. Da flohen vor Schrecken Alle, die es sahen, und es wagte sich Keiner mehr auf den Kirchhof, denn die Hand wich nicht wieder unter die Erde, und es war grausig anzuschauen, wie sie so starr und bleich aus dem Grabe hervorragte, kalt und schweigend, aber doch ein so beredter Zeuge, wie der Herr die Sünde straft. Zuletzt befahl die Obrigkeit, daß man sie mit Ruthen streichen sollte, glaubend, daß eine solche Strafe genug sei und die Erlösung bewirken werde. Der Befehl wurde vollzogen und die Hand blutete, daß die Erde davon roth ward, aber in das Grab wollte sie nicht zurück. Da ließ man sie abhauen und mit jener Tafel in der Kirche aufhängen, damit noch späte Zeiten sich ein Beispiel daran nehmen möchten.

Fußnoten

1 Nach Temme S. 48 etc.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Marken. 225. Die Hand aus dem Grabe. 225. Die Hand aus dem Grabe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4620-2