869. Der Wunderdoktor zu Cassel.
(S. Nodnagel in Wolfs Zeitschr. f. deutsche Mythol. Gött. 1853 Bd. I. S. 35.)
Auf die Jahrmärkte zu Cassel kam gemeiniglich ein Störger (Charlatan) oder Theriakskrämer, Georg vom Harz, verkaufte seinen Theriak, den er aus dem Gifte der auch in der Herrschaft Schmalkalden heimischen Vipern bereitete, für geringes Geld, sah aber nicht gern, wenn ein Anderer auch auf den Markt kam. Auf einem Jahrmarkte nun im Jahre 1559 fand sich ein fremder Störger ein und rühmte Großes von seinem Theriak, wo er bereitet und wie kräftig er wäre. Um diese seine Rede zu bewähren, trieb er viel Gefährts und seltsame Geberden mit Schlangen, Kröten und anderem Ungeziefer, er biß und fraß aus ihnen etliche Stückchen heraus und dann wieder aus seinem Theriak um zu zeigen, daß es ihm nichts schade. Georg vom Harz hörte dies Alles bei seinem Kram, es verdroß ihn, daß das Gelaufe dahin so groß werden wolle. So fing er auch an und rief nach Gewohnheit dieses Volkes:
»Schau, Bauer, schau,
Hier ist eine wilde Frau.
Schau und lauf,
Hier findest Du den besten Kauf.
Dill, Petersill, Wurmsamen,
In Gottes Namen,
Heran, heran,
Wer da hat einen bösen Zahn
Hier ist der Mann,
Der ihn ohne Schmerzen langen kann.«
Mit diesem Geschrei bekam er auch Gaffer, das will sagen Käufer, insonderheit um die wilde Frau zu sehen. Dann kehrte er sich gegen den fremden Störger und sagte:
»Friß Schlangen, friß Rangen,
Friß Eitschen, friß Leitschen,
Friß Ratzen, friß Katzen,
Friß Läuse, friß Mäuse.
Ich will Deine Gesellschaft gern entrathen,
Ich halte mich an den Schweinebraten,
Die dünken mich auch besser seyn,
Frisch Semmeln und ein Krüglein Wein.
Solches ist, liebe Freunde, eine gewisse Arznei und die starke Nestel, so Leib und Seele zusammenhält.« Das brachte ihm Geld und der Andere bekam nichts.