1427. An Grete Meyer

1427. An Grete Meyer


Mechtshausen 12. Januar 1904.


Liebe Grete!

Schad, daß du neulich so bald wieder fort gemußt. Nun verlegen wir uns auf die übliche Vorstellungskunst und zaubern recht häufig deinen Besuch zurück in's "Oberstübchen", wo ja überhaupt alles das spukt und gemacht wird, was irgend Erscheinung heißt.

Anderseits sind wir doch auch Realisten, die an einen soliden Kern dieser Welt glauben. Vor der Scheune hat sich durch mehrfachen Aufguß eine Schurrbahn gebildet. Martin und Ruth benutzten sie unermüdlich zum Glitschen, so rubbrig sie ist; einmal sogar gleich früh am Morgen, als noch die Sterne vom Himmel schienen. Annelise aber, nach schmerzlicher Berührung mit der Härte der Dinge, hat's bis auf weiters nicht wiederversucht. Sie ist sonst für das Schwungvolle. Jeden Abend, wenn sie mir auf meiner Stube Gutenacht sagt, muß ich sie schwenken, je höher je lieber.

[216] Bei deinem Pascal wirst du niepe zusehen müßen, um Pläsir dran zu finden. – Ich selber las eben die Züricher Novellen von Gottfried Keller. Er ist einer von den "Reichsunmittelbaren", die das Recht haben, ihre eigenen Münzen zu schlagen, nur förcht ich, die meisten Leut laßen sein Geld durch die Finger gleiten, ohne zu merken, wie apart das Gepräge ist.

Adolf war gleich nach Neujahr ein paar Tage hier. Er, Otto und ich fuhren am Dreikönigstage durch dichten Nebel über Hildesheim – Lehrte, diesmal ohne Bedrängniß, nach Hannover, wo wir mit Bruder Hermann aus Celle und deßen Albert in dem auch Dir bekannten Reichshof zu Mittag aßen. Wir beiden Mechtshäuser kamen dann über Kreiensen zurück, so daß wir abends gegen acht daheim wieder anlangten.

Das Wetter bei uns ist bislang trocken und nicht zu kalt gewesen. Die Hühner fangen zu legen an, während die Puter und Enten, d.h. in dieser Hinsicht, noch ganz verschloßen sind.

Ich spatziere täglich mehrmals im Garten herum, die Pelzmütze tief über die Ohren gedrückt. Mehr Schnee wäre erwünscht für die grünenden Roggenfelder. Der Westwind hat sich aufgemacht. Vielleicht aber wird bloß Regen daraus.

Unsere Zimmertulpen stehen in Blüthe. So sitzt man denn und raucht und trinkt Kaffee und nimmt ein Bißel Frühling vorweg.

Bleib froh und gesund, liebe Grete. Viele Grüße an euch von uns Allen, und noch drei besonders an dich von

deinem alten

Onkel Wilhelm.


Deine Freundinnen bitt ich gleichfalls zu grüßen.

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TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. Briefe. 1427. An Grete Meyer. 1427. An Grete Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-0FCB-B