34.
Niemanden wird außerhalb des Familienkreises ein neugeborenes, ungetauftes Kind gezeigt, weil man die Wirkung »böser« Augen fürchtet 1.
Fußnoten
1 Der uralte Aberglaube des »malus oculus« der Römer, des mal occhio der Neapolitaner ist hier zu nennen. Alles, was die Gestalt eines Hornes hat, schüzt nach dem Glauben der Neapolitaner gegen den bösen Blick. Vgl. Theobald Kerners Aufsatz in Hackländers »Ueber Land und Meer« 1860. Nr. 18. S. 276c u. 278a, dem wir einiges entnehmen. »Der Glaube an das böse Auge, an eine manchem Menschen inwohnende Kraft mit dem bloßen Blicke Pflanzen und Thiere welk machen, ja tödten zu können, ist jezt noch ein in Italien und Spanien weitverbreiteter, aber durchaus nicht nur diesen Ländern allein eigen. Schon die urältesten griechischen Sagen berichten von bösen Augen unter dem Namen dertelchinischen Seuche. Die Telchinen waren die in Menschen umgewandelten Hunde des Aktäon, welche Alles, was in ihre Nähe kam, mit mißgünstigem, giftigem Auge betrachteten und demselben Verderben und Tod brachten. – Plutarch erzählt von Anwohnern des Pontus, sie seien nicht blos den Kindern, sondern auch den Männern durch ihren Augenzauber verderblich, denn alle siechten und erkrankten, gegen welche sie Blick und Athem hinwendeten, am gefährlichsten sei es aber kleinen Kindern von wegen ihrer noch weichen und flüssigen Constitution. Plinius in seiner Naturgeschichte lib. VII. c. 2. berichtet, es gebe in Afrika Familien von Solchen, deren lobend Wort das Gelobte verderbe, die Bäume verdorre und die Kinder tödte; dergleichen fänden sich auch bei den Illyriern, die durch ihren Blick bezauberten und Alles tödteten, was sie länger, besonders mit zornigen Augen anblickten, am leichtesten jedoch Kinder, und es sei merkwürdig, daß sie zwei Pupillen in jedem Auge hätten. Auch nach Polyarchus hatten die mit dem bösen Augenzauber behafteten Thybier eine doppelte Pupille an dem einen Auge, die Gestalt eines Rosses an dem andern. Auch im Norden, namentlich bei den an poetischen Sagen und Aberglauben so reichen slavischen Völkern, findet sich neben dem ausgebreiteten Glauben an Vampyrismus auch der an das böse Auge. – In Spanien glaubte das Volk an solche lebendige Todausstrahler. – Merkwürdig, daß in Deutschland auch zu einer Zeit, wo so manches arme Weib dem Aberglauben als Opfer fiel und als Hexe auf dem Scheiterhaufen endete, der Glaube an dasböse Auge keine rechte Wurzel faßte. Zwar liest man in den peinlichen Processen nicht selten von Katzenpfoten und Krötenfüßebildern, die man in den Pupillen der Hexen will wahrgenommen haben, aber die Verhexung selbst geschah mehr durch Zauberworte, sympathetische Mittel und Berührung, als durch böse Blicke. – Die Furcht vor dem bösen Auge ist wunderbarerweise in Italien auch in den gebildetsten Ständen noch nicht erloschen; die Korallenhändchen mit den ausgestreckten Fingerchen, die in Deutschland die Damen nur zum Scherz als Schmuck tragen, haben dort noch eine tiefere Bedeutung und sollen vor den Wirkungen des bösen Auges schützen, so gut als der Ausruf der italienischen Mütter, wenn Jemand ihr Kind lobt oder stark ansieht: ›di grazia non gli date mal d'occhio!‹«